Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die NachwuchshistorikerInnen-Initiative moechte nachstehende Erklaerung auf der Mitgliederversammlung des deutschen Historikerverbands in Aachen zur Abstimmung bringen. Zuvor bitten wir Euch um moeglichst zahlreiche Unterschriften!
In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Habilitationen in den historischen Faechern deutlich erhoeht. Wurden 1979 zwoelf Habilitationen erfolgreich abgeschlossen, so waren es 1998 nicht weniger als 34. Derzeit gibt es rund 180 Habilitierte ohne feste Anstellung. Bei der Ausschreibung von Professuren sind hundert qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber keine Seltenheit - bei steigender Tendenz. Verschiedene Faktoren haben zu dieser rasanten Ausweitung des Angebots an hochqualifizierten Historikerinnen und Historikern beigetragen:
Die positiven Effekte der Nachwuchsfoerderung im geisteswissenschaftlichen Bereich liegen auf der Hand: Noch nie gab es so viele hochqualifizierte Forscherinnen und Forscher wie heute. Jedes Jahr kommt ein ungewoehnlich differenziertes Angebot historischer Publikationen auf den Markt. Methodische wie inhaltliche Innovationen der deutschen Geschichtswissenschaft - Frauen- und Geschlechtergeschichte, Alltagsgeschichte oder die "neue Kulturgeschichte" - werden massgeblich von der juengeren Wissenschaftlergeneration getragen. Sie beteiligt sich engagiert an der universitaeren Lehre und gibt ihr neue Impulse.
Nie zuvor wurde ein so grosser Teil der Forschung von WissenschaftlerInnen geleistet, die sich in befristeten Positionen befinden: finanziert durch Zeitvertraege, Stipendien und Arbeitsbeschaffungsmassnahmen, in Abhaengigkeit von Lebenspartnern oder den Sozialsystemen. Dieser ungesicherte Status steht in krassem Widerspruch zur hohen formalen Qualifikation und zur Anerkennung in der internationalen Scientific community. Die Betroffenen sind heute zwischen Mitte 30 und Mitte 40, also in einem Alter, in welchem den juengsten politischen Vorgaben zufolge kuenftig die Weichenstellungen fuer eine wissenschaftliche Karriere laengst erfolgt sein sollen.
Um das Ausmass des Problems in allen Dimensionen zu ermessen und die Diskussion auf eine zuverlaessige Basis zu stellen, bemueht sich der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands um die Finanzierung einer Enquête ueber die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses in den Geschichtswissenschaften und die in den naechsten Jahren zu erwartende Stellenentwicklung.
Zur Entschaerfung der gegenwaertigen Problemlage schlaegt der Verband folgende Massnahmen vor, die geeignet erscheinen, das Angebot an hochqualifizierten WissenschaftlerInnen moeglichst effektiv zu nutzen:
Es gibt an den deutschen Universitaeten keineswegs zu viele geisteswissenschaftliche Professoren. In einer Zeit des rapiden Strukturwandels kommt einer gruendlichen Schulung der intellektuellen Faehigkeiten fuer den Arbeitsmarkt besondere Bedeutung zu. Freilich zeigen sich die wichtigsten "Outputs" geisteswissenschaftlicher Taetigkeit nicht sofort: Ein historischer Horizont des Denkens, die Faehigkeit zur kritischen Informationsverarbeitung und- vermittlung, soziale wie politische Sensibilitaet und Wertebewusstsein, sind nicht unmittelbare Ergebnisse von Forschung, sondern ein Resultat intensiver akademischer Ausbildung in den historischen Faechern. Fuer diese Aufgaben ist die Erhoehung der Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und Studierenden eine unabdingbare Voraussetzung. Erst recht wird durch die geplante Differenzierung der Studiengaenge (Einfuehrung von B.A. etc.) ein wachsender Bedarf an qualifizierten HochschullehrerInnen entstehen.
Der Historikerverband begruesst es ausdruecklich, dass gegenwärtig viele hochqualifizierte NachwuchswissenschaftlerInnen zur Verfuegung stehen. Er fordert die Politik auf, dieses Potential nicht zu verschenken, sondern es im Interesse der Zukunftsfaehigkeit unserer Gesellschaft einzusetzen.
PD Dr. Christian Jansen/Bochum
PD Dr. Thomas Mergel/Bochum
Dr. Anne Chr. Nagel/Gießen
PD Dr. Sylvia Paletschek/Tübingen
PD Dr. Ulrich Sieg/Marburg
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