Sehr geehrte Damen und Herren,
im folgenden moechte ich einige Gedanken zu dem Beitrag von Anne Nagel und Ulrich Sieg vom 8.d.M mit dem Titel "Nachwuchswissenschaftlerinnen" beifuegen mit der Bitte um Veroeffentlichung in Soz&Kult.
Nagel und Sieg fordern die "Integration" der Nachwuchswissenschaftler in die Institutionen ein und befuerchten ein "neues" Privatdozentenelend. Ich bin sehr froh, um den oeffentlichen Aufruf, den ich als Aufmunterung verstehe, die Lage von HistorikerInnen in der Wissenschaft oeffentlich zu diskutieren. Neu ist es ja nicht, dass es unberufenen Privatdozenten schlecht geht. Vor ein paar Jahren druckte "Die Zeit" eine Artikelserie mit dem Titel "Dr. habil. arbeitslos" ab. Schon damals beschlich mich angesichts der Portraets von Habilitierten ohne Professur das Gefuehl, dass die Betroffenen ja irgendwie auch selber schuld sind, wenn sie diese "Laufbahn" einschlagen.Mein Eindruck ist, dass es unter den Historikern weitgehend tabuisiert wird, ueber die geringen Aussichten in ein "festes" Arbeitsverhaeltnis zu kommen, zu sprechen. Jeder hofft, doch noch zu den "happy few" zu gehoeren, und keine/r will sich die Bloesse geben, ueber das Dasein als HistorikerIn Zweifel zu aeussern und damit als nicht kampftauglich eingeschaetzt zu werden.
Der Aufruf von Nagel und Sieg erfolgt im Stil eines Appells "Tut doch was fuer uns und lasst und endlich ran". Ich denke nicht, dass Probleme damit geloest werden koennen; sie sind meiner Meinung nach nur sekundaer institutionell und primaer mental. Dass die oeffentliche Hand Stellen abbaut, laesst sich so schnell nicht aendern. Dass Professoren auf Lebenszeitstellen sitzen, genauso wenig. Das Problem ist doch, dass der deutsche Wissenschaftsbetrieb nach hoffnungslos veralteten Prinzipien funktioniert: Wissenschaft wird als alles einnehmende 100prozentige Taetigkeit betrachtet, was einerseits weitgehend zutrifft, andererseits jede berufliche Taetigkeit neben Wissenschaft ausschliesst. Das ist tragisch fuer die Lebenslaeufe, die so voellig einseitig sind und lebenslang nur auf ein Ziel: Wissenschaft und wissenschaftliche Qualifikation ausgerichtet sind. Anachronistisch ist hierbei besonders, dass sich die Arbeitswelt und damit der Umgang des Einzelnen mit seinen Qualfikationen ausserhalb der Universitaeten rasend wandelt. Leider ist es immer noch so, dass jemand, der aus der Wissenschaft aussteigt, nicht mehr zurueck kann. Weil er "zu alt" ist und einen fremden Stallgeruch hat. Es gilt rein wissenschaftlich gesehen als Schwaeche etwas anderes zu tun als Wissenschaft.
Es liegt an den Betroffenen selber, diese Ausschliesslichkeit eines (gluecklich machenden?) Lebenslaufes zu vermeiden oder zu korrigieren. Stattdessen wuerde ich vorschlagen, sich sehr gut die Faehigkeiten zu ueberlegen, die HistorikerInnen der Welt und also: dem Markt anbieten koennen. Bekanntlich sind sie ja kluge Leute. Das Argument, das hier leicht kommen kann, lautet, wieso sich fuer einen Markt interessieren, wo die Arbeitslosigkeit doch so hoch ist. Aber sie ist in der Wissenschaft ja nicht geringer. Es geht hier um die Angst, sich von etwas weg zu bewegen, was einen so lange genaehrt und beschaeftigt hat. Auch geht es darum, weniger der Passivitaet und Trostlosigkeit zu froenen als zu lernen, eigene Ziele zu setzen und sich zu verkaufen. Wieso ist es normal, dass Historiker, die keinen Lohn beziehen, weiter wissenschaftlich publizieren, ohne dafuer Geld zu bekommen? Und dabei von der Sozialhilfe oder vom Arbeitsamt leben?? Es liegt am Einzelnen, hier den Tarif selber und selbstbewusst zu setzen: dann halt eben nicht. Der Arbeitsmarkt wird sich mit Sicherheit mittelfristig erholen und - aufgepasst! - die wissenschaftlichen Strukturen werden in zehn, zwanzig Jahren mitnichten so aussehen wie jetzt: die Habilitation wird relativiert werden, die Vollzeit- und Lebenszeitprofessuren werden abnehmen und damit auch die aussschliessliche Taetigkeit von Historikern fuer die Wissenschaft. Deutschland haengt bis jetzt noch voellig einer internationalen Entwicklung hinter her, was Flexibilisierung von Erwerbslebenslaeufen angeht. Ich lebe seit einiger Zeit in der Schweiz und habe hier oefter erlebt und gehoert, dass (promovierte) HistorikerInnen Firmen gruenden (Ideen muss man haben), Unternehmensberatung machen oder von ihren Auftraegen (!) leben. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass mittelfristig nicht auch in Deutschland solche Freiheiten, kreative Nischen und letztlich finanziell befriedigende Loesungen Einzug halten. Man muss endlich damit anfangen, das bisherige Image von der hehren Geschichtswissenschaft umzudeuten in ein neues Selbstbild einer Disziplin, die gute und multidisziplinaer einsatzfaehige Leute hervorbringt.
Dr. des. Ursula Meyerhofer, Zuerich-Berlin
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