Karl Heinz Roth

Statistische Daten über die Lage der Historikerinnen und Historiker in der BRD: Erste Mitteilung

Es ist sehr schwer, empirische Daten zu finden, die über die Lage der Historikerinnen und Historiker hinsichtlich der Studienverhältnisse, der Absolventenentwicklung und ihrer Lage auf dem Arbeitsmarkt (Beschäftigungsverhältnisse und Erwerbslosigkeit) Auskunft geben. Die Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts recherchiert seit einiger Zeit bei den zuständigen Stellen (Statistisches Bundesamt, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, Bundesministerium für Forschung und Technologie). Die bislang ergiebigsten Informationen lieferte dabei die Nr. 1.6/1998 der „Materialien aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung“, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit herausgibt. Sie sind in einzelnen Punkten durch Eigenerhebungen ergänzt worden.

Leider reichen die Daten nur bis in die Jahre 1995/96. Da sie sich aber im Fall BRD-West auf das Referenzjahr 1985 beziehen, zeigen sie doch einen aussagekräftigen Trend an, der die aktuelle Entwicklung teilweise transparent macht. Die wichtigsten Ergebnisse werden im folgenden wiedergegeben.

Selbstverständlich sollte diese erste Informationsbasis so schnell wie möglich durch den Bezug weiterer statistikbehördlicher Unterlagen und durch Eigenerhebungen erweitert und vertieft werden. Um zu zeigen, wie diese Eigenerhebungen aussehen könnten, wird im zweiten Teil dieses ersten Zwischenberichts ein entsprechendes Frageschema wiedergegeben.

1. Berufsstatistik der Historiker/Ethnologen BRD-West und BRD-Ost (ohne Studierende bzw. Absolventen der Lehrämter, einschließlich Studierende und Absolventen der Fächer Archäologie, Kunstgeschichte, Volkskunde)

1.1

Geschichte/Ethnologie BRD-West

1985

1991

1993

1995

1996

 

 

 

 

 

 

Studium

 

 

 

 

 

-- Studienanfänger

8.958

9.518

9.941

9.930

 

-- Studierende insgesamt

35.591

42.566

43.833

43.575

 

 

 

 

 

 

 

Absolventen

 

 

 

 

 

- Anzahl

1265

2580

2660

2838

 

- Index (1985 = 100)

100

204

210

224

 

- Frauenanteil %

52

57

57

58

 

- Anteil Promotionen %

30

24

23

25

 

- Nachwuchsquote

10,8%

15,3%

12,0%

12,1%

 

 

 

 

 

 

 

Erwerbstätige

11.700

16.800

22.000

23.500

 

--- Entwicklung 1985 = 100

100

144

188

201

 

--- Mtl.Netto (Vollzeit)

 

 

4.221

4.376

 

- Erwerbstätigengruppen %

 

 

 

 

 

--- Selbständige

16

23

15

31

 

--- Beamte

16

9

11

10

 

--- Angestellte

60

63

65

55

 

--- Teilzeiterwerbstätige

24

36

28

29

 

--- Führungskräfte

25

26

26

26

 

--- Arbeiter u. einf. Angestellte

31

24

13

25

 

- Berufliche Schwerpunkte %

 

 

 

 

 

--- Wissenschaft

13

13

14

21

 

--- Publizistik/Dolm./Bibliothek.

16

18

20

23

 

--- Künstler. Berufe

10

7

9

18

 

--- Verwaltung, Büro

11

11

8

6

 

--- Lehrtätigkeit (o.öff. Schulen)

16

11

11

6

 

- Branchenschwerpunkte

 

 

 

 

 

--- Forschung/Bildung/K/Medien

63

50

53

 

 

-- Verarbeitendes Gewerbe

5

7

10

 

 

-- Gebietskörperschaften/SV

10

9

9

 

 

-- Orgg. Ohne Erwerbscharakter

 

9

8

 

 

 

 

 

 

 

 

Arbeitslosigkeit

 

 

 

 

 

--- Index (1985 = 100)

100

223

178

299

305

--- Anzahl

927

2.064

2.576

2.768

2.826

-- Arbeitslosengruppen %

 

 

 

 

 

---  Frauen

51

59

59

59

60

--- unter 35 Jahren

61

58

51

49

43

--- 50 Jahre und älter

5

6

6

7

7

--- Langzeitarbeitslose

29

24

26

29

30

-- Arbeitslosenquoten %

 

 

 

 

 

--- Männer

5,0

9,1

7,6

9,8

 

--- Frauen

 

12,6

14,3

11,2

 

--- insgesamt

7,3

10,9

10,5

10,5

 

 

Daraus ergeben sich folgende Anhaltspunkte für die Lage der HistorikerInnen in BRD-West im Jahrzehnt zwischen Mitte der 80er und Mitte der 90er Jahre

 

a)      Studium

Die Anfängerzahlen stiegen im Vergleich zu anderen Fachbereichen unterdurchschnittlich, wobei der Frauenanteil etwas zurückging. Überdurchschnittlich hoch war der Anteil der Promotionen an den Abschlußprüfungen. Aber auch Studienabbrüche bzw. –fachwechsel sind offensichtlich häufiger gewesen als in anderen Studiengängen.

b)      Erwerbstätigkeit

Die fachspezifische Erwerbstätigkeit ohne Lehramt verdoppelte sich innerhalb von zehn Jahren, und zwar weit überdurchschnittlich. Dabei waren aber viele HistorikerInnen in einfachen betrieblichen Positionen inadäquat beschäftigt. Fast ein Drittel war selbständig bzw. freiberuflich tätig. Die Bedeutung des „verarbeitenden Gewerbes“ als Arbeitgeber nahm zu, es wurden also immer mehr HistorikerInnen in den PR-Abteilungen der Wirtschaft eingestellt.

c)      Erwerbslosigkeit

Die Erwerbslosigkeit stieg stärker als die Erwerbstätigkeit und hat sich verdreifacht. Die Arbeitslosenquote war Mitte der 90er Jahre höher als Mitte der 80er Jahre. Mit 10,5 % war sie zweieinhalbmal so hoch wie der Durchschnitt für die westdeutschen Universitäten insgesamt (4,2 %). Die meisten Arbeitslosen waren Jüngere und Frauen. Für die älteren westdeutschen HistorikerInnen war die Arbeitslosigkeit dagegen kaum ein Problem.

 

1.2

Geschichte/Ethnologie BRD-Ost (Zusammensetzung wie BRD-West)

1991

1993

1995

1996

 

 

 

 

 

Studium

 

 

 

 

-Studienanfänger

 

 

 

 

--Anzahl

 

811

1.473

 

--Index (1993 = 100)

 

100

182

 

-Studierende insgesamt

 

2.009

3.846

 

--Index (1993 = 100)

 

100

191

 

 

 

 

 

 

Absolventen

 

 

 

 

--Anzahl

 

76

97

 

--Index (1993 = 100)

 

100

128

 

--Frauenanteil %

 

51

40

 

--Promotionsanteil %

 

29

29

 

-Nachwuchsquote

 

 

1,9

 

 

 

 

 

 

Erwerbstätigkeit

 

 

 

 

-Anzahl

6.200

4.700

5.200

 

-Index (1991 = 100)

100

75

84

 

 

 

 

 

 

Arbeitslosigkeit

 

 

 

 

--Anzahl

 

365 (1994)

372

335

--Index (1994 = 100)

 

100 (1994)

102

92

-Arbeitslosengruppen

 

 

 

 

--Frauen %

 

40 (1994)

43

47

--Unter 35 Jahren %

 

27 (1994)

25

30

--50 Jahre und älter %

 

32 (1994)

31

27

--Langzeitarbeitslose %

 

18

23

22

 

Die Statistik über die Lage der Historikerinnen und Historiker in BRD-Ost ist noch unzulänglicher als die bis jetzt gewonnenen Daten über die Lage in BRD-West. Ihr größter Nachteil ist, daß die statistischen Vergleichszahlen aus der DDR-Zeit für 1985 fehlen und der erfaßte Beobachtungszeitraum extrem kurz ist. Trotzdem lassen sich einige wichtige Fakten ablesen. Beispielsweise stiegen die Zahlen der Studienanfänger seit Beginn ihrer statistischen (Wieder-)Erfassung deutlich. Entsprechend werden die Absolventenzahlen zunehmen, und schon jetzt fällt der auch in BRD-Ost überdurchschnittlich hohe Anteil an Promotionen ins Auge. Aufgrund der Evaluierungen und politischen Säuberungen von 1990/91 war die fachspezifische Erwerbstätigkeit in der ersten Hälfte der 90er Jahre deutlich rückläufig, während die Zahl der über fünfzig Jahre alten erwerbslosen Historikerinnen und Historiker im Gegensatz zu BRD-West steil anstieg.

 

2. Ein Fragenkatalog für aussagekräftige Eigenerhebungen

Der folgende Vorschlag ist nur als Impuls gedacht, mit der eigenen beruflichen Situation kritisch-emoirisch umzugehen. Aus ihm könnte ein Fragenkatalog hervorgehen, der beispielsweise von den Studierendenfachschaften mehrerer Universitäten verabschiedet und in Umlauf gebracht werden könnte. Wichtig wäre eine ergänzende Befragung durch den VHD, und zwar sowohl durch eine Umfrage bei seinen Mitgliedern über deren eigene Lage, als auch durch die Einsetzung einer statistischen Kommission, die das gesamte Spektrum der Berufstätigkeit von HistorikerInnen einschließlich der berufsfremd Tätigen und Prekären bzw. Erwerbslsosen untersuchen könnte. Die Gelegenheit dazu wäre auf dem nächsten Historikertag gegeben (Abstimmung darüber in der Verbandssitzung, Podiumsdiskussion und öffentliche Erklärung).

 

Jedenfalls ist das bis jetzt vorliegende Material wenig aussagekräftig bezüglich der inneren Zerklüftung der HistorikerInenenbranche im Kontext der neuen Arbeitsverhältnsse. Sicher wird es möglich sein, die grob aggregierten Daten der offiziellen Statistik durch weitere Recherchen bei den Datenbanken der Statistikbehörden bis in die Gegenwart fortzuschreiben. Bei einer systematischen Erhebung über die wissenschaftspolitisch besonders wichtigen inneren Entwicklungslinien wäre dagegen folgendermaßen vorzugehen:

 

a) Umfang der Ausbildung von HistorikerInnen in den jeweiligen akademischen Qualifikationsstufen

-Anzahl der erfolgreich abgeschlossenen Habilitationsverfahren pro Semester/Jahr und der laufenden Habilitationsprojekte

-Anzahl der promovierten HistorikerInnen pro Semester/Jahr und der laufenden Promotionen

-Anzahl der Magisterabschlüsse von HistorikerInnen pro Semester/Jahr

-Anzahl der bestandenen Lehramtsprüfungen mit Hauptfach Geschichte pro Semester/Jahr

-Anzahl der Studienabbrüche und Studienfachwechsel pro Semester/Jahr

-Einkommensquellen der Studierenden bis zum Magister bzw. zur Promotion (Eltern, Stipendien, Einkommen aus entsprechend zu spezifizierenden Arbeitsverhältnissen)

 

b) Berufsentwicklung nach den akademischen Abschlüssen: Regulärer Sektor für Historiker

-Anzahl der derzeit besetzten wissenschaftlichen Vollzeitstellen für promovierte bzw. habilitierte Historiker (C1 bis C4)

-Anzahl der derzeit besetzten Vollzeitstellen für Historiker in den Archiven

-Anzahl der derzeit besetzten Vollzeitstellen für Historiker im höheren Schuldienst

-Anzahl der derzeit vorhandenen Vollzeitstellen für Historiker in der öffentlichen Verwaltung, in den Medien, Verlagen und Unternehmen

-Anzahl der selbständig tätigen HistorikerInnen mit qualifikationsadäquaten Einkommen (6000.- DM brutto/Monat und darüber)

 

c) Berufsentwicklung nach den akademischen Abschlüssen/Abbrüchen: Reguläre Beschäftigungsverhältnisse in anderen Berufen (wie oben)

-Habilitierte

-Promovierte

-Magisterabschlüsse

-Studienabschlüsse Höheres Lehramt

-Selbständige mit qualifikationsadäquaten Einkommen

-Berufliche Entwickulung der Studienabbrecher

 

d) Berufsentwicklung nach den akademischen Abschlüssen: Berufsspezifischer prekärer Sektor

-Anzahl der bisher nicht berufenen Habilitierten mit fachspezifischen ungeschützten Arbeitsverhältnissen (Lehrstuhlvertretungen mit reduzierten Bezügen, befristete Teilzeitjobs, unter- bzw. unbezahlte Lehrveranstaltungen)

-Anzahl der Promovierten (befristete Arbeitsverträge, Teilzeitjobs, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, unter- bzw. unbezahlte Lehrveranstaltungen)

-Anzahl der Magister (dito)

-Anzahl der HistorikerInnen mit Qualifikation zum höheren Lehramt (dito)

-Sondererhebung über Ausmaß und Art der ungeschützten Arbeitsverhältnisse, mit denen HistorikerInnen berufsspezifisch konfrontiert sind (Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, BSHG-Beschäftigungen, befristete Arbeitsverträge, ABM-Verträge)

-Anzahl der Bezieher von Arbeitslosen- und Sozialhilfe

 

e) Berufsentwicklung nach den akademischen Abschlüssen: berufsfremder prekärer Sektor (wie d).


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: k.h.roth@gmx.de
Subject: Statistik zur Berufssituation der Historiker 
Date: 18.06.2000


       

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