Wenn Menschen, die sich selber als (angehende) Wissenschaftler definieren, mit einem Thema befassen, hegt man für gewöhnlich die Erwartung, daß dies zumindest ein wenig mit Vernunft und Überlegung geschieht. Der Verlauf der bisherigen Diskussion um die sogenannte Nachwuchshistoriker - Initiative ist allerdings geeignet, starke Zweifel daran aufkommen zu lassen. Die verschiedentlich kritisierten Widersprüchlichkeiten des ersten Aufrufs sind an dessen Verfassern offenbar spurlos abgeperlt, denn auch im zweiten Beitrag von Anne Nagel und Ulrich Sieg feiert die Inkohärenz als argumentatives Prinzip fröhliche Urständ. Die Kritik an den Sonderforschungsbereichen wird auch durch ihre Wiederholung nicht sinnvoller. Ob der gewünschte interdisziplinäre Dialog stattfindet oder nicht, stellt in erster Linie ein mentales und organisatorisches Problem für die jeweilige Einrichtung und die darin arbeitenden Menschen dar. Aus dem Nicht - Funktionieren im persönlich erlebten Einzelfall den Schluß zu ziehen, eines der wenigen noch verbliebenen Forschungsförderinstrumente leichten Herzens über Bord zu werfen, ist abenteuerlich und wenig seriös. Im übrigen: Ob man nun im Rahmen eines SFB oder als Stipendiat oder als Zeitprofessor nach dem Fiebiger - Modell arbeitet, an der gleichfalls kritisierten Befristung der Stellen und der Finanzierungsmöglichkeiten ändert das wenig bzw. gar nichts. Nachdem sich die beiden Verfasser am Ende ihres Beitrags als Mitarbeiterin eines Sonderforschungsbereichs bzw. als Privatdozent geoutet haben, stellt sich ohnehin der schale Verdacht ein, daß diese Initiative eher dem Zweck entsprungen ist, private berufliche Probleme und Befindlichkeiten zu vergesellschaften. In diesem Zusammenhang von Solidarität zu schreiben ist schon mehr als peinlich. Über die Forderung, eine Diskussionsveranstaltung zu den Problemen des wissenschaftlichen Nachwuchses auf dem Historikertag einzurichten, läßt sich indes trefflich streiten. Ohne eine längere und fundierte Vorbereitung, zu der insbesondere die Zusammenstellung von zuverlässigen und aussagekräftigen statistischen Daten (Anzahl der derzeit vorhandenen wissenschaftlichen Vollzeitstellen für Historiker, voraussichtliche Entwicklung dieses Sektors in den nächsten 10 bis 15 Jahren, Anzahl der bisher nicht berufenen Habilitierten, Anzahl der laufenden Habilitationsprojekte etc., um nur die wichtigsten zu nennen) gehören müßte, macht dies jedenfalls keinen Sinn. Vollends kontraproduktiv ist es, wenn man eine solche Veranstaltung zeitlich parallel zur Sektion 'Junge Historiker stellen sich vor' stattfinden lassen will. (Über den Sinngehalt des Adjektivs 'jung' im Zusammenhang mit Historikern, ließe sich zwar die eine oder andere Glosse formulieren. Ein Fußballer gilt mit 39 als uralt, sollte Lothar Matthäus allerdings die Profession wechseln und sich zu Historie bekennen - wovor uns der Herrgott bewahren möge - ginge er problemlos als 'Junger Historiker' durch.) Gerade in dieser Sektion wird aber einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit geboten, ihre Arbeiten und Erkenntnisse der Fachöffentlichkeit zu präsentieren. Daran ist allenfalls zu kritisieren, daß diese Sektion(en) gegebenenfalls ausgeweitet werden sollten, um mehr Forschern als bisher, eine Vorstellung zu ermöglichen. Diesem Forum in Gestalt einer bisher jedenfalls nicht und somit schlecht vorbereiteten Diskussionsveranstaltung von unklarer Themenstellung und Zielsetzung Konkurrenz machen zu wollen, ist töricht. Zudem bedeutet dies - und hier sei an die Stellungnahme von Frau Völker - Rasor erinnert - einen ziemlichen Affront gegenüber denjenigen, die dort vortragen werden. Zum Schluß noch einige Anmerkungen zu den neueren Beiträgen von Ursula Meyerhofer und Stefan Hemler. Ob die Abschaffung der Habilitation ein geeignetes Instrument ist (so Meyerhofer), um die Berufschancen junger Wissenschaftler zu verbessern, kann man mit einigem Recht auch bezweifeln. Im Rahmen der wissenschaftlichen Laufbahn erfüllt sie jedenfalls eine wichtige Kanalisierungsfunktion. Schafft man diese ab, hat dies zur Folge, daß der Arbeitsmarkt für Wissenschaftler (scheinbar) jedem offensteht, der zumindest promoviert ist. Angesichts der Stellenlage, werden auf diese Weise lediglich Illusionen geweckt, denen keinerlei realistische Berufschancen gegenüberstehen. Zudem würden sich sehr schnell informelle Kriterien herausbilden, die an die Stelle der institutionalisierten Habilitation treten würden. Ob dies der Chancengerechtigkeit dient, ist mehr als zweifelhaft. Zudem hat Meyerhofers Anliegen mit den Intentionen der Initiative von Nagel und Sieg wenig gemein, denn deren Kritik wäre mit einer scharfen und an der Zahl der zu Verfügung stehenden Stellen orientierten Zugangsbeschränkung doch wohl stärker entsprochen als mit einer völligen Freigabe des Marktes. Stefan Helmers Kritik an der Vergabepraxis von Promotionsstipendien durch die politischen Stiftungen zeigt exemplarisch einen grundlegenden Mangel der gesamten Diskussion: Man weiß wenig, urteilt dafür um so leichter und schneller und falscher. Die Vergabe eines Graduiertenstipendiums durch eine der großen politischen Stiftungen (Konrad - Adenauer - Stiftung, Friedrich - Ebert - Stiftung u.a., die im übrigen keine „Parteistiftungen“ sind, sondern rechtlich selbständige, allenfalls parteinahe Institutionen) ist stets an zwei Voraussetzungen geknüpft: Herausragende wissenschaftliche Qualifikation UND gesellschaftliches Engagement. Letzteres umfaßt ein weites Spektrum von Möglichkeiten in Kirchen, Entwicklungshilfeorganisationen, Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, Naturschutzverbänden, Jugend- und Sozialarbeit usw, usw. und ist keinesfalls auf die politische Tätigkeit im engeren Sinne beschränkt. Von „Verrenkungen“ als keine Spur. Mit dieser Verbindung aus fachlichem Können und gesellschaftlichem Engagement soll erreicht werden, daß unter den angehenden Wissenschaftlern gerade diejenigen besonders gefördert werden, die mehr im Blick haben als lediglich ihr eigenes Fach und ihr eigenes kleines Forschungsvorhaben. Im Hinblick auf die immer wieder eingeforderte Verantwortung der Wissenschaften kann man dies auch nur begrüßen. Wenn es nicht gelingt, die Nachwuchshistoriker - Initiative auf argumentativ und intellektuell stärkere Füße zu stellen, als dies bisher der Fall ist, wäre es vermutlich besser, wenn sie ein schnelles Ende findet. Einem an sich berechtigten Anliegen wird kein guter Dienst erwiesen, wenn es weiterhin auf der Grundlage einer teils unsicheren, teils widersprüchlichen und teils unzutreffenden Analyse mit derart untauglichen Vorschlägen weiter vorangetrieben wird.

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Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Ulrich Rosseaux <uzs7fl@uni-bonn.de>
Subject: Noch einmal zur Nachwuchshistoriker - Initiative
Date: 26.06.2000


       

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