In ihrem juengsten Diskussionsbeitrag ueberbietet Ulrike Meyerhofer den von Nagel und Sieg lancierten Vorschlag, auf dem Aachener Historikertag parallel zur Sektion "Junge Historiker stellen sich vor" eine Debatte ueber die angestrebte Nachwuchshistoriker/Innen-Initiative zu veranstalten, indem sie bekundet, die Sektion koenne "man doch getrost ausfallen lassen; schliesslich sind das keine 23 jaehrigen, sondern schon laengst gestandene Wissenschaftler, die´s eigentlich nicht noetig haetten, auf dem Historikertag dort zu referieren."

Wieso eigentlich? Wann hat man´s denn nicht mehr noetig, seine Forschungsergebnisse einer wissenschaftlichen Oeffentlichkeit zu praesentieren? Und ab wann darf man sich zu den "gestandenen" Wissenschaftlern rechnen, mit denen die Initiatoren einer Nachwuchshistoriker/Innen-Initiative offenbar nichts mehr am Hut haben?

Zwar gab der Verlauf dieser Sektion bei den zurueckliegenden Historikertagen durch das demonstrative Desinteresse seitens der mit Berufungsmacht ausgestatteten Professoren berechtigten Anlass zur Kritik. "Peepshow" wurde die Veranstaltung schon vor Jahren von einem Delinquenten genannt. Dieser wie nicht wenige andere, die es riskiert haben, sich zu "prostituieren", sind jedoch inzwischen als Professoren bestallt, und das wirft denn doch die Frage auf, ob die Veranstaltung dem Image der Mitwirkenden so abtraeglich ist, wie gern behauptet wird. Auch koennte es ja sein, dass die "peinliche" Veranstaltung eine ganz gute Vorbereitung fuer Bewerbungsvortraege ist, bei denen es, wie von Betroffenen zu hoeren, oft kaum weniger peinlich zugehen soll, nur unendlich mehr auf dem Spiel steht. Der von meiner Tuebinger Kollegin, Sylvia Paletschek, gemachte Vorschlag, sich moeglichst genaues Zahlenmaterial zur Situation des Nachwuchses zu beschaffen, liesse sich, was die Berufswege der "jungen Historiker" frueherer Historikertage angeht, vermutlich mit relativ geringem Aufwand verwirklichen. Erst mit solchen Zahlen koennte man fundiert ueber Fortfuehrung oder Abschaffung der Sektion diskutieren.

Auch scheint mir die Einstellung, mit der hier argumentiert wird, so gar nicht zum vorherrschend materialistischen Geist zu passen, der ansonsten durch die in H-Soz-u-Kult gefuehrte Nachwuchs-Debatte weht. Welcher Manager, Journalist oder Politiker, auch wenn er zweimal 23 Jahre zaehlte, koennte sich eine aehnliche Haltung leisten, wie sie uns hier angesonnen wird? In Wirtschaftsunternehmen und Verbaenden gehoert es seit Jahrzehnten zum taeglichen Brot, sich mit seinem Know How zu praesentieren und damit Einfluss auf die eigenen Berufschancen zu nehmen. In den Akten diverser Wirtschaftsarchive findet man dazu haufenweise Belege. Auch wissenschaftliche Qualifikation kann nicht nur am Schreibtisch oder in heimeliger Seminaratmosphaere unter Beweis gestellt werden. Performance ist zwar mit Sicherheit kein Ersatz fuer wissenschaftliche Kompetenz, aber ohne kommt man - weder in der Lehre noch im Wissenschaftsmanagement - aus.

Leider hat Ulrike Meyerhofer es versaeumt, vor ihrem Plaedoyer fuer die Streichung der Sektion "Junge Historiker" die dafuer als Referenten vorgesehenen Kolleg/Innen zu befragen. Das waere aber das Mindestmass an Solidaritaet gewesen, was man unter Nachwuchshistoriker/Innen haette erwarten duerfen. Solidaritaet ist allerdings ein "Begriff", von dem die junge Kollegin eingestandenermassen wenig haelt. Ihr Argument: "schliesslich sind wir alle Einzelkaempfer und potentielle Konkurrenten um Stellen". Dieses Bekenntnis halte ich nun fuer einigermassen typisch fuer die derzeitige Befindlichkeit beim Nachwuchs.

Ob aber demonstrative Bekenntnisse zum Einzelkaempfertum uns weiterbringen und mit dem Ethos vereinbar sind, das wir als Forschende den historischen Subjekten nicht selten abverlangen, scheint mir denn doch eine diskussionswuerdige Frage. Das Karrieremachenwollen um jeden Preis bei extrem verschlechterten Aussichten auf eine Verwirklichungsmoeglichkeit dieses Ehrgeizes hat die Praxis unseres Berufs in den vergangenen Jahren auf ungute Weise veraendert. Man macht nur noch, was einem "nuetzt" und einen aus der Masse der Konkurrenten heraushebt. Diese schiesst man - je nach Opportunitaet (vgl. Sektion "Junge Historiker") - ab oder vereinnahmt sie (Nachwuchsinitiative), um eigene Interessen durchzusetzen, nur um Gottes willen laesst man sich fuer nichts und niemanden selbst einspannen, wenn's einem nichts bringt. Frau Meyerhofer fragt sich daher, was ihr die Mitgliedschaft im Historiker-Verband "eigentlich bisher gebracht hat".

Auch kritisiert sie das "Bild des asketischen, harten Berufswegs", weil es frauen- bzw. elternfeindlich sei und mit Lustverzicht und Entsagung erkauft werde. Jede Frau müsse selbst wissen, ob sie einem solchen "Verein" angehören wolle. Ja gewiss, aber jede muss auch entscheiden, ob sie einem Club von Superegoisten beitreten will. Als Wissenschaftlerin mit zusaetzlicher Familienbelastung und sowohl habilitierendem wie "windelwechselndem" Partner moechte ich bemerken, dass demonstrativ unsolidarisches Verhalten von Kolleg/Innen (mit oder ohne Erfahrung im Windelwechseln?) mir mehr Frust bereitet als die Askese, die neben Kindererziehung, Haushalt und Lehre meinen Alltag als Wissenschaftlerin praegt.

Das zum Gelehrtenmythos geronnene Berufsbild des - im allgemeinen immer noch als maennlicher Kopffuessler gedachten - Professors, wurde von Sylvia Paletschek zurecht kritisch auf's Korn genommen. Dieser Mythos verhindert eine offene Debatte ueber die gesellschaftliche Situation des geisteswissenschaftlichen Nachwuchses und behindert die Abschaffung alter Zoepfe. Unentgeltliche Lehrverpflichtungen fuer arbeitslose Privatdozenten oder Zusatzlehrverpflichtungen fuer habilitierte Akademische Raete, um ihren Privatdozententitel fuehren zu duerfen, gehoeren ebenso ins Kuriositätenkabinett entsorgt wie die ungenierte Ausbeutung von Privatdozent/Innen, die sich als Lehrstuhlvertreter/Innen verpflichten. Immer haeufiger kommt es vor, dass sie nur fuer die Semestermonate Gehalt empfangen, waehrend sie fuer die Sozialbeitraege und Fahrtkosten obendrein noch selbst aufkommen muessen. Um diese Praktiken wirksam zu bekaempfen, muessten die Betroffenen in der Lage sein, ihr Gelehrtenlos kritisch zu hinterfragen. Aber dazu beduerfte es der Publizitaet und Solidaritaet!

Kein privatwirtschaftliches Unternehmen koennte sich unter den Augen von Gewerkschaften und Medien einen solchen Umgang mit hochqualifizierten Nachwuchskraeften erlauben, nicht bei noch so angespannter Lage auf dem Arbeitsmarkt. Bei uns aber, wo man sich dem gelehrten Einzelkaempfertum verschreibt, fuerchte ich, wird es schwer sein, wirksame Gegenstrategien zu entwickeln.

Auch koennte man sich - Solidaritaet des Nachwuchses vorausgesetzt - durchaus Gedanken darueber machen, wie man dafuer sorgt, dass nicht diejenigen, die sich in auskoemmlich bezahlter Stellung befinden, anderen, erwerbslosen Kollegen Auftragsarbeiten von Verlagen, Museen, Staedten, Gemeinden und Unternehmen wegnehmen.

Solidarisch koennten alle Mitglieder des Historiker-Verbands, die ueber ein geregeltes Einkommen verfuegen, eine von Profis durchzufuehrende PR-Offensive finanzieren, um eine breitere Oeffentlichkeit auf die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses und moegliche Folgen fuer den Kulturbetrieb und das Bildungssystem aufmerksam zu machen.

Solidarisch koennte man schließlich vielleicht auch bei der DFG ein Umdenken erreichen. Man muesste einmal detailliert untersuchen, inwieweit die Foerderungsbestimmungen dieser oeffentlichen Einrichtung massgeblich an den Beduerfnissen und Vorbildern der Naturwissenschaften orientiert sind. Das wird so wenig verbraemt, dass jeder SFB-Antrag ein Formblatt enthaelt, in dem die Antragsteller erklaeren, ob sie Genforschung betreiben! Die einseitige Ausrichtung am naturwissenschaftlichen Vorbild fuehrt dazu, dass man meint, nicht arrivierte Privatdozenten, die Mitte dreissig sind, auf den "freien Markt" entlassen zu muessen, weil sie fuer eine Karriere in der Wissenschaft angeblich zu alt, sprich ungeeignet sind. Kuerzere Qualifikationszeiten moegen das im Falle von Chemikern, Biologen, Physikern usw. vielleicht rechtfertigen, das ist nicht mein Thema. Fraglos aber treffen habilitierte Naturwissenschaftler/Innen auf dem Arbeitsmarkt auf zahlreiche und keineswegs schlechter bezahlte Alternativen zur Uni-Karriere. All das sieht fuer Geisteswissenschaftler/Innen im allgemeinen und Historiker/Innen im besonderen ganz anders aus. Wir sollten es daher nicht akzeptieren, weiter mit dem Nachwuchs der Naturwissenschaften ueber einen Kamm geschert zu werden. Auch sollten wir - etwa in Form eines ueber die FAZ verbreiteten Offenen Briefes die DFG-Verantwortlichen einmal zu einer Stellungnahme veranlassen, welches Strategie eigentlich hinter einer Nachwuchsfoerderung steht, die zunaechst - via SFBs - eine Privatdozentenschwemme hervorruft und diese dann ins Abseits stellt. Laut den geltenden Bestimmungen sollen naemlich SFBs, die Projekte fuer Bearbeiter mit abgeschlossener Habilitation vorsehen, kuenftig keine Foerderung mehr erhalten sollen. Auch eine solche Initiative wird, wenn sie wirksam sein soll, Geld kosten und verlangt daher solidarisches Handeln. Ohne Solidaritaet jedoch wird alles beim alten bleiben.

Die geplante Nachwuchshistoriker/Innen-Initiative haette daher m. E. in erster Linie die Aufgabe, solidarisches Handeln zu organisieren und nicht der Artikulation dumpfer Befindlichkeiten ein Forum zu bieten und Einzelkaempfer/Innen das Feld zu bereiten. Cornelia Rauh-Kuehne


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Cornelia.Rauh-Kuehne@uni-tuebingen.de
Subject: Nachwuchshistoriker/Innen-Initiative
Date: 24.06.2000


       

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