Ohne die vorherige Diskussion zu kennen, bietet der Text von Sylvia Paletschek viele Vorschlaege, die weiterfuehren koennten. Angesichts des vorherrschenden neoliberalen Meinungsklimas halte ich alle Vorschlaege, die auf eine, wenn auch nur teilweise Versorgung von Habilitierten hinauslaufen fuer politisch nicht durchsetzbar, obwohl das, was in Oesterreich die Pragmatisierung, d.h. Dauereinstellung der Habilitierten, bedeutet, die Fakultaeten, die habilitieren, staerker unter Druck setzt, bereits vor Beginn des Verfahrens sich ueber die Chancen der Habilitanden Gedanken zu machen.

Sinnvoll waere die ja bereits ins Auge gefasste Abschaffung der Habilitation. Diese koennte eines vermeiden helfen: die langen Qualifikationszeiten. Es ist muessig, Schuldige am augenblicklichen Zustand sehr spaeter Promotionen und in Folge sehr spaeter Habilitationen zu suchen. Promovierende und Habilitierende sind daran immerhin auch beteiligt, denn sie wollten diesen Weg so einschlagen. Sinnvoller erscheint mir, Alternativen aufzuzeigen, welche beruflichen Wege fuer die spaet Kommenden noch offenstehen.

Abseits aller gut gemeinten Vorschlaege (s. o.), mit Firmengruendungen der Arbeitslosenstatistik zu entkommen, ist fuer den kulturwissenschaftlichen Bereich darauf zu verweisen, dass Dienstleistungen fast ausschliesslich auf Stellen erbracht werden, die aus Steuern alimentiert sind. Da die Zahl dieser Stellen in naechster Zeit kaum erweitert, sondern eher verkleinert werden wird, wird dauerhaft ein Ueberangebot bestehen bleiben, auch wenn sich manche mit den vielen, in Schulen und Hochschulen in den naechsten zehn Jahren freiwerdenden Stellen beruhigen. Die Frage ist, ob und welche Dienstleistungen wir anzubieten haben, die fuer andere von so grossem Interesse sind, dass sie bereit sind, dafuer zu zahlen. Diese Ueberlegung ist vielen Geisteswissenschaftler/innen, die ja nach der Wahrheit und nicht nach materiellen Werten suchen, eher fremd.

Im SPIEGEL war vor einigen Wochen ein Bericht zu lesen ueber Historiker/innen, die eigene Firmen fuer Dienstleistungen gegruendet haben. An die Einzelheiten kann ich mich nicht erinnern, doch hat die Plazierung eines solchen Artikels durchaus politischen und damit Aufforderungscharakter. Unsere Staerken liegen im methodischen Umgang mit gesellschaftlichen Problemen und ihrer Geschichte sowie im Umgang mit historischen Quellen. Die Archiverfahrung ist eine differentia specifica, auf der sich aufbauen laesst. So ist es z. B. noch ueblich, dass Rechtsanwaelte Jurist/innen beschaeftigen, um allfaellige Archivrecherchen zu machen, ein sicherlich sehr aufwendiger Weg, da die notwendigen Kenntnisse fehlen. Das ist nur ein Beispiel fuer zahlreiche andere Aufgaben, in denen solche Erfahrungen und Wissen gefragt sind, ueber das andere nicht verfuegen.

Vorstellbar ist aber auch, dass Forschungaufgaben sehr viel staerker aus den traditionellen Forschungsinstitutionen ausgelagert werden koennten, soweit die Unabhaengigkeit der Forschung von Geldgebern gewaehrleistet bleibt. Dass privatrechtlich organisierte Institutionen darueberhinaus um DFG-Gelder usw. konkuerrieren koennen, versteht sich von selbst. Warum sind die grossen Untersuchungen zur Nazivergangenheit deutscher Firmen nicht von solchen Forschungsinstituten gemacht worden? Warum werden Ausstellungen wissenschaftlich nicht von solchen Instituten vorbereitet? Zu bedenken ist dabei, dass die Unabhaengigkeit bereits heute auch dort nicht immer gegeben ist, wo Forscher/innen auf oeffentlich alimentierten Stellen solche Dienstleistungen erbringen. Die oeffentliche Alimentation erweckt also den Schein der Unabhaengigkeit, die letztlich immer durch materielle Interessen (finanzieller und/oder symbolischer Art) gefaehrdet sein kann. Entscheidend bleiben -nachpruefbare- methodische und darstellerische Standards, die von jedweder/m eingehalten werden koennen und der Beurteilung aller unterliegen.

Zu diskutieren waere also, wie Forschungsleistungen ausserhalb der traditionellen und haeufig festgefahrenen Institutionen organisert werden kann und welche Leistungen wir zu erbringen in der Lage sind, die uns von anderen so unterscheiden, dass sie zur Professionalisierung taugen. Dieses schreibe ich als oeffentlich alimentierter, dem Ruhestand zudaemmernder, privatdozierender Greis.

PD Dr. Joern Sieglerschmidt
Universitaet Mannheim
sieglerj@rumms.uni-mannheim.de

Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Joern Sieglerschmidt" <sieglerj@rumms.uni-mannheim.de>
Subject: Re: NachwuchshistorikerInnen-Initiative
Date: 20.6.2000


       

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