Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit grossem Interesse verfolge ich als Betroffener die Diskussion ueber die Aussichten junger Historiker. Es scheint mir allerdings, dass die Diskussion an verschiedenen Punkten die Argumente vermischt und am eigentlichen Problem vorbeigeht.

Die Geschichtswissenschaft ist ein Handwerk und eine kritische Wissenschaft; im guenstigsten Fall ist sie beides gleichzeitig. Ein guter Handwerker kann jederzeit Auftragsarbeiten fuer Geld erledigen, wie es von verschiedenen Diskussionsteilnehmern angeregt worden ist. Das geschieht seit langem, verstoesst nicht gegen die guten Sitten und ist nur dann problematisch, wenn der Auftraggeber den Historiker dazu zwingen sollte, gegen sein Handwerk zu verstossen. Dagegen sollte man sich wehren. Das ist aber wohl eine selbstverstaendliche Forderung, die deshalb eigentlich nicht naeher zu diskutiert werden brauchte.

Offenbar meinen die Befuerworter einer sich dem Markt oeffnenden Geschichtswissenschaft also etwas anderes, naemlich den Verzicht auf Teile dieses Handwerks oder den Verzicht auf die Geschichtswissenschaft als einer kritischen Wissenschaft. Was aber ist das Kritische an der Geschichtswissenschaft? Vielen verstehen darunter offenbar eine gegenueber dem Staat kritische Geschichtswissenschaft. Das scheint mir aber eine Verengung zu sein, denn Kritik ist zunaechst auch eine Frage des Handwerks und gilt den Quellen, den Methoden und Theorien. (Das schliesst den Staat und die Gesellschaft als Objekte von Forschung natuerlich ein.) Der schrittweise Verzicht auf diese Kritikfaehigkeit - um den es moeglicherweise auch geht, wenn die Anwendbarkeit von Geschichte bzw. ein praxisorientiertes Studium gefordert wird - trifft das Fach ins Mark. Friedrich Nietzsche und Julien Benda haben dazu wichtige Arbeiten geschrieben.

Das Problem von Nachwuchswissenschaftlern scheint mir daher nicht so sehr im Fach zu liegen, obwohl es natuerlich einen erheblichen Reformbedarf an den Universitaeten gibt - die Abschaffung der Habilitation und die Einfuehrung von Stellen fuer "Jung"-wissenschaftler sind dringend geboten -, sondern im mangelnden gesellschaftlichen Verstaendnis fuer den Sinn von kritischer Wissenschaft. Immerhin sind es die Gesellschaft und der Staat (letzter wird nur aktiv, wenn die Gesellschaft ihn dazu bringt), die fuer einen erneuten Ausbau der katastrophal unterfinanzierten Universitaeten zustaendig waeren. Ja, es gibt auch ohne weitere finanzielle Mittel von seiten des Staates Reformbedarf und Reformmoeglichkeiten an den Universitaeten. Im Moment sind diese aber so stark unterfinanziert, dass Deutschland international allenfalls Mittelklasse ist. Bildung ist entgegen dem bundesrepublikanischen Selbstverstaendnis eines stark durch Bildung und knowhow definierten modernen Industriestaates eben kein Gut mehr, dessen Finanzierung unstrittig waere, im Gegenteil. Bildung wird im Klein-Klein parteipolitischer Debatten auf die Anzahl von Lehrerstellen und Computerexperten reduziert.

Die neue Bildungsdebatte bedroht die Geisteswissenschaften daher, da nicht eigentlich Bildung diskutiert wird, sondern Ausbildung. Wenn nicht erkannt wird, dass eine Gesellschaft ueber kritische Geisteswissenschaftler verfuegen muss, um mit sich selbst zu diskutieren und die Basis des Zusammenlebens stets neu zu hinterfragen, dann sieht es schlecht aus fuer Historiker. Diese Diskussion wird aus verschiedenen Gruenden nicht gefuehrt. Schon aus dem Missverstaendnis einer nutzenorientierten Wissenschaftsdiskussion heraus traut sich die Zunft kaum noch, sich zu dieser kritischen Funktion als einer Grundvoraussetzung ihres Bestehens zu bekennen.

Die Diskussion ueber das Elend der universitaeren Geschichtswissenschaft gehoert daher in die Zeitungen und Bildmedien, auf den Marktplatz unserer Gesellschaft, nicht so sehr in eine Internetdiskussionsgruppe von Betroffenen. Sie muss dazu auch freilich innerhalb der Zunft gefuehrt werden. Eine Debatte ueber die Berufssorgen junger Wissenschaftler scheint mir aber in jedem Fall der falsche Ansatzpunkt. Es geht doch nicht in erster Linie darum, dass ich eventuell arbeitslos werde - wie ich es bereits zwei Mal in meiner "Karriere" gewesen bin. Die Arbeitslosigkeit ist nicht spezifisch fuer Historiker und daher sind es die angestrebten Loesungen wohl auch nicht. Viele Historiker wissen eben letztlich doch, wie sie dieser Drohung begegnen muessen, s.o. Es geht doch darum klarzumachen, warum die Gesellschaft sich fuer die Ausbildung und Finanzierung von Nachwuchswissenschaftlern zu interessieren hat. Es geht um die Anerkennung unserer Arbeit, fuer die dann Geld zur Verfuegung gestellt wird. (Neben der Finanzierung gilt es allerdings auch sicherzustellen, dass ein lediglich Promovierter nicht als "Einbeiniger" eingestuft wird, dem zum Glueck und zur Anerkennung in der Zunft unbedingt das zweite Buch fehlt, bevor man sich mit ihm als einem ernsthaften Menschen auseinandersetzt.)

Ich plaediere daher fuer eine Diskussion ueber den Sinn und die Inhalte von Bildung sowie den besonderen Nutzen, den eine moderne Gesellschaft von den kritischen Geisteswissenschaften zu erwarten hat. Die Diskussion droht ansonsten von Beginn an in eine Diskussion sozialer Probleme arbeitsloser Historiker abzugleiten, in der wir nur Opfer sein koennen. Opfer einer Gesellschaft, die den Sinn unserer Taetigkeit nicht versteht, und Opfer in einer Diskussion ueber die universitaer gebildeten Verlierer in Zeiten knapper Kassen.

Heiko Droste


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Heiko.Droste@t-online.de (Heiko Droste)
Subject: NachwuchshistorikerInnen - Initiative
Date: 18.06.2000


       

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