Erst einmal moechte ich meine Zustimmung dazu ausdruecken, dass hsk dieser fuer das Fach zweifellos wichtigen (wenn auch nicht neuen) Diskussion Raum gibt. Es werden sehr grundsaetzliche Fragen ueber den institutionellen Status von Wissenschaften aufgeworfen, die in dieser Form in der Tat zeit- und raumspezifisch sind: Die Vorstellung eines "Wissenschaftlers" sind noch keine zweihundert Jahre alt, vorher war Forschung entweder hoefischer Zeitvertreib oder Nebenprodukt anderer Taetigkeiten; und sie sind m.E. typisch fuer eine bundesdeutsche Mentalitaet von einer Lobbyisten- Gesellschaft, die ihre Sicherheiten, aber auch ihre Schwerfaelligkeiten mit sich bringt. Sicherlich ist klar, dass jedeR ProfessorIn waehrend der gesamten Lehrtaetigkeit nicht nur eineN NachfolgerIn ausbildet und somit ohne extremes Stellenwachstum nicht alle AbsolventInnen Professuren erhalten werden. Insofern ist eine Offenheit fuer andere Taetigkeitsfelder notwendig (und laengst gegeben). Eine ganz andere Frage betrifft diejenigen, die nun tatsaechlich Professuren be-sitzen: Von diesen erwarte ich allerdings, dass Wissenschaft und Lehre gemeinsam eine in der Arbeitszeit "alles einnehmende 100prozentige Taetigkeit" darstellen - ehrlich gesagt, reicht ja die menschliche Arbeitsfaehigkeit gar nicht aus, um selbst das zu erfuellen. Praxisbezug *im Rahmen* von Wissenschaft und Lehre finde ich wichtig, als zusaetzliche Taetigkeit finde ich sie nicht hinnehmbar.
Welchem anderen Beamten oder Angestellten wuerde man die Fuehrung einer eigenen Firma gestatten?!?! Natuerlich ist Vielseitigkeit gerade in der Wissenschaft, die nach neuen Wegen sucht, von Vorteil: vielseitige Kenntnisse und vielseitige Denkweisen, aber in der Regel ist kaufmaennisches Geschick nicht spezifisch wissenschaftsfoerdernd. Wer wettert gegen die Einseitigkeit im Lebenslauf eines Managers oder Programmierers, der nicht nebenher noch gewerblich Rosen zuechtet oder eine Privatdetektei fuehrt?! Zeitweiliger Ausstieg aus der Wissenschaft ist vielleicht weniger wegen des "Stallgeruchs" problematisch als wegen eines raschen Anschlussverlustes an die sich weiterentwickelnde Diskussion. Ich habe selbst die Frustration eines Quereinsteigers in der Wissenschaftsgeschichte erlebt, der interessant klingende Projektvorstellungen mitbrachte, sich dann aber in den im Gebiet vorhandenen Diskussionsstand nicht so einfach einarbeiten konnte. Also: prinzipielle Offenheit selbstverstaendlich, aber fuer diejenigen, die ernsthaft Wissenschaft betreiben koennen/wollen (und sei es mit Arbeitsamt- oder Sozialhilfeunterstuetzung [ich lebe derzeit auch von Arbeitslosenhilfe]), ist Wissenschaft einfach eine 'alles einnehmende 100prozentige Taetigkeit'. Das schliesst natuerlich nicht aus, unter der Vielzahl moeglicher Arbeitsgebiete solche zu waehlen, die fuer eine breitere gesellschaftliche Debatte von aktuellem Interesse sind (was nicht gleichbedeutend mit "marktgerecht" ist!). Mein eigenes Interesse an moderner islamischer Wissenschaft wurde nicht zuletzt ausgeloest durch Fundamentalismus-Debatten und die gegenwaertigen "Islamisierungs-"Projekte in gewissen Wissenschaften, und ich bemuehe mich auch um ausserwissenschaftshistorische Diskussionsanschluesse. Aber wenn ich diese Ansaetze finanziell vermarkten wollte, waere ich wohl nicht allzu gut beraten. Es ist gerade in den Geschichtswissenschaften oft notwendig, Dinge zu formulieren, die nicht gerne gehoert werden. In Deutschland wenig bekannt, hat es in den letzten sechs Jahren in den USA einen heftigen institutionellen Kampf um die Wissenschaftsforschung gegeben ("Science Wars"), in dem die Naturwissenschaften, die ihr Ansehen und damit ihre Finanzierung (Super Collider fuer Elementarteilchenforschung) durch die Science Studies bedroht sahen, massiv gegen die Anstellung von Wissenschaftsforschern (Bruno Latour und Norton Wise in Princeton usw.) vorgegangen sind. Wir sollten uns nicht davon taeuschen lassen, dass manche Konzerne relativ kritische Forschungen ueber sich selbst finanzieren - die Grenzen sind ziemlich eng, und wer auf Sponsoren-Geld angewiesen ist, wird sich sehr gut ueberlegen, was man schreibt und was nicht. Die in die Diskussion gebrachten Vorschlaege einer Medienpraesenz von HistorikerInnen finde ich sehr wichtig, aber wiederum nur sinnvoll, wenn keine finanzielle Abhaengigkeit besteht: In dem Masse, wie die Medienlandschaft kommerzialisiert und konzentriert wird, geht es nicht mehr nur um Quote (eine attraktive Praesentation ist ja durchaus ein begruessenswertes Ziel), sondern auch um ganz klare "messages". Hollywood (seit der McCarthy-Aera) ist dafuer ein gutes Beispiel, die platte Projektion US-amerikanischer Moralvorstellungen in die Zeit von Sinuhe, Moses, Spartakus oder wessen immer ist ja fuer einen europaeischen Zuschauer kaum zu ertragen. Geschichtsunterricht mit Hollywood-Filmen? Dann ist Orwells newspeach schon Realitaet, und man darf sich nicht mehr ueber die Weltbilder vieler Amerikaner wundern, ueber die sich europaeische Medien oft lustig machen... Es ist sicher wuenschenswert, dass im taeglichen Leben viele Menschen taetig sind, die sich mit komplexen historischen Prozessen auseinander setzen können. Da wie gesagt ohnehin klar ist, dass nicht alle (nicht einmal die meisten) der ausgebildeten HistorikerInnen Profs werden koennen, ist dafuer ohnehin gesorgt (ist im uebrigen eine alte brandtsche Bildungsidee, die mir aus meiner damaligen Grundschulzeit vertraut ist...). Aber bitte lassen Sie uns eine oeffentliche Diskussion vermeiden, in der die wissenschaftliche Forschung und Lehre als Ganzes zur Disposition gestellt wird, und lieber dafuer eintreten, dass die nicht-warenfoermige Forschung gestaerkt wird, gegen einen Ausverkauf der Universitaeten als Wissensdienstleister und Immobilienressource. Wie viele nicht direkt marktwirtschaftlich eingebundene HistorikerInnen die Gesellschaft braucht? Viele, wenn man die zahllosen autoritativ verwendeten Geschichtsmythen betrachtet, die in der oeffentlichen Diskussion herumgeistern. Wohl folgen auch akademische ForscherInnen persoenlichen Interessen, aber zumindest sind es andere Interessen als die der Privatwirtschaft, und das ist doch schon einmal etwas, oder...?
Rainer Broemer
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