Das rege Reagieren auf die Initiative ist doch ganz offenbar Ausdruck des Beduerfnisses, sich und die Lage zu diskutieren. Vor neun Jahren erschien der Campus-Band von Marco Montani Adams "Geisteswissenschaftler in der Wirtschaft". Wir sind seitdem kein bisschen weitergekommen. Die Krux ist doch die, dass man sich als Geisteswissenschaftler spaetestens nach dem Studium vorkommt wie ein Idiot, da koennen noch so gute Abschluss- und Promotionsnoten kaum etwas daran aendern. Der Grund liegt darin, dass man einseitig ausgebildet worden ist; einseitig im Sinne, dass Wissenschaft zwar schoen und gut ist, dass man aber fuer "nichts anderes" taugt. Das hat auch damit zu tun, dass Geisteswissenschaftler ein voellige realitaetsfernes Bild von sich selber haben. Wieso findet Wissenschaft im Elfenbeinturm statt; wieso reklamieren Geisteswissenschaftler nicht oefter und oeffentlich, dass sie Erklaerungs- und Loesungskompetenz fuer alle gesellschaftlichen Probleme besitzen? Damit meine ich nicht, dass man staendig auf historische Parallelen verweist und jederzeit den Historiker aus der Westentasche zieht, sondern das Einbringen von kritischer Analysekompetenz. Es ist so dem Vorredner absolut recht zu geben, dass die Rolle und der Sinn von Geschichte erneut diskutiert werden muss. Falls es zutrifft, dass Geschichtswissenschaft eine "buergerliche Erfindung" ist, und das buergerliche Zeitalter derzeit zu Ende geht, dann ist "Geschichte" ad absurdum gefuehrt. Was kann historisches Erinnern ueberhaupt noch bedeuten, wo wir schnell und virtuell leben, konsumieren, uns informieren?
Das Problem fuer den Nachwuchs liegt doch ganz einfach dort, dass einen die Laufbahn selber, je hoeher man aufsteigt, desto staerker ins gesellschaftliche Off bugsiert. Da nuetzen die Aussichten auf Einkommen und gesellschaftliche Einflussmoeglichkeiten als Professor/in auch nicht viel. Ich stellte mich kuerzlich fuer eine promovierte Assistentenstelle vor und fragte meinen Vorgaenger, was es denn an der Universitaet an Weiterbildungsangeboten geben wuerde. Er fragte zurueck, ob ich einen Crash-Kurs in Wirtschaft meinen wuerde; ich antwortetet "genau das" - es folgte Lachen. Wieso eigentlich nicht? Weil Historiker das nicht wert sind, weil man es ihnen nicht zutraut? Was geboten wird, sind Didaktik-Kurse. Das Unattraktive an hoeheren Mittelbaustellen ist neben der Zeitbeschraenkung doch vor allem, dass man sich damit fuer nichts und niemanden ausserhalb der Wissenschaft qualifiziert. Selbst wenn man fuenf Jahre erfolgreich forscht, unterrichtet und sich weiterqualifiziert - was eine Menge Arbeit ist, notabene - stehen die Chancen danach doch hervorragend, erneut arbeitslos zu sein und allenfalls auf eine Berufung "zu warten". Ja, was sind das denn fuer Aussichten? Wo will man denn danach "einsteigen", wenn man nicht vorher die Grundlagen dazu gelegt hat?
Was fuer eine Selbstwertschaetzung haben eigentlich Historiker, wenn sie mit offenen Augen in ein solches Schicksal laufen? Was fuer eine Selbstwertschaetzung hat man, wenn man bis zur erreichten Berufung von weit unterdurchschnittlichen Loehnen leben soll, waehrend "normale " Menschen laengst schon ihre Einfamilienhaeuser gebaut haben? Na klar, sie "duerfen" interesselose Wissenschaft betreiben und deshalb ist es unfein, nach angemessener Bezahlung zu schielen, geschweige denn Karriereaussichten. Hat eigentlich schon mal jemand darueber nachgedacht, was fuer Charaktereigenschaften eine Aussicht auf eine solche "Laufbahn" hervorruft und beguenstigt?
Ich moechte hier einen kleinen Exkurs anfuegen, denn ich meine keinesfalls, dass alle Probleme geloest werden, wenn die Historiker nur moeglichst kurz studieren und promovieren. Dieser Weg wird derzeit als Loesungsansatz propagiert, weil er billig zu verwirklichen ist (Alterszulassungsschranken!), und Veraenderung suggeriert sowie die derzeit existierende aeltere Historikergeneration vom universitaeten Nachwuchs-"Markt" nimmt, siehe die Bemerkung von Nagel und Co., dass eine ganze Generation derzeit in Gefahr ist. Zwei Dinge sprechen aber dagegen:
es gibt sowas wie lebenslanges Lernen und es spricht nichts gegen Leute, die "aus der Arbeitswelt" kommen, die dann studieren, promovieren, Professor/in werden. Das zweite Argument ist, dass wissenschaftliche Kompetenz erstens unter Umstaenden muehselig erlernt und erfahren werden muss, und dass das zweitens auch mit Persoenlichkeitsentwicklung zu tun hat. Insofern ist dieses Argument "Altersproblem" untauglich. Als drittes waere noch beizufuegen, dass wir laenger leben und mittelfristig laenger arbeiten werden, auch wenn das die Sozialdemokratie in Deutschland noch nicht so sieht. Es hat also gar keinen "Sinn" bis zu einer bestimmten "Altersgrenze" einen bestimmten Karriereschritt absolviert zu haben, weil man dann ja angeblich "alles erreicht" hat. Ich denke hier an die USA, wo man guten Gewissens mit 50 sagen kann, ich mach´ jetzt was ganz anderes.
Deutschland hat uebrigens die hoechste Zahl von Fruehrentnern. Eine Loesung kann doch nur in die Richtung Flexibilisierung der akademischen universitaeren Lebenslaeufe in jede Richtung gehen sowie Durchlaessigkeit von beruflicher Taetigkeit von der Uni nach "draussen" und zurueck.
Dr. des. Ursula Meyerhofer
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