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Subject: Hitlers willige Wissenschaftler: Projektbericht Fahlbusch
Date: 12.9.1997


Michael Fahlbusch z.Zt. Athen, 12.9. 1997

Archaeologie der Volkstumsforschung

"Jedes Land muss seine Geschichte genau kennen. Man muss an die Zukunft denken und nach Moeglichkeit verhueten, dass die naechste Generation dann der jetzigen vorwerfen kann, sie habe sich um die geschichtliche Wahrheit herumgedrueckt." Simon Wiesenthal in Neue Zuercher Zeitung v. 2./3.8. 1997.

Am Seminar fuer Historische Geographie der Universitaet Bonn wurde im Juli ein zweijaehriges Forschungsprojekt der DFG ueber "Die Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften in Deutschland von 1931-1955. Eine institutionsgeschichtliche Analyse einer interdisziplinaeren Forschungseinrichtung im Totalitarismus und der fruehen Nachkriegszeit." unter der Leitung Prof. Dr. Klaus Fehns beendet. Die Ideenskizze dieses Projekts reicht zurueck in das Jahr 1985. Aus meinen ersten Forschungen zur Wissenschaftsgeschichte im Dritten Reich, die sich noch mit einem Hochschulinstitut in Muenster befassten, erwuchs die Erkenntnis, dass trotz vorliegender Einzelstudien gerade die Verflechtung von Wissenschaft und Politik, die instrumentelle Vernunft im Horkheimerschen Sinne, bisher wenig beruecksichtigt wurde oder gar nur auf wenige 'Irrläufer' der deutschen Wissenschaft quallifiziert wurden. Und in der Tat scheint es ganz so, als ob erst in den 90er Jahren des ausgehenden 20. Jahrhunderts das wissenschaftspolitische Schnittfeld von Interesse ist und vermehrt in unseren Erkenntnisprozess Eingang findet. Diese neue Aufmerksamkeit, der ebenfalls die Podiumsdiskussion der "Arbeitsstelle fuer Vergleichende Gesellschaftsgeschichte" am 9. Juni d.J. in Berlin gewidmet war, mag auch mit der gegenwaertigen Entwicklung ueber die Rolle Deutschlands in Europa zusammenhaengen. Die Diskussion ueber die kulturpolitische Dominanz findet zunehmend in unseren Nachbarstaaten Frankreich, Schweiz und Tschechien Beachtung.

Erstmalig wurde der Versuch unternommen, einen kulturpolitischen Brain trust im Dritten Reich dahingehend zu untersuchen, inwieweit sich wissenschaftliche und politische Verflechtungen personell wie institutionell nachweisen lassen, ohne irrationale Momente den Akteuren zu unterstellen. Das Ziel des Projektes war eine institutions- und personengeschichtliche Rekonstruktion des in der bisherigen Forschungsliteratur als rein wissenschaftlich dargestellten Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften (VFG) durchzufuehren. Da sich herausstellte, dass das Gegenteil der Fall war und die VFG vielmehr auch die Funktion einer Grossforschungs- einrichtung einnahmen, die den gesamten kulturwissenschaftlichen Bereich des NS-Systems (Volksgeschichte, Vorgeschichte, Voelkische Geographie, Volkskunde, Kunstgeschichte, Sozialwissenschaften) kontrollierte und steuerte, basierte die Studie auf einer methodisch und grundlagentheoretisch fundierten Analyse der bereits durch Vorstudien erschlossenen Archivquellen.

Die Ausgangsthese des Projektes war, dass die methodische Implementierung der Volkstumsforschung im NS im Zusammenhang mit den Praemissen der Wissenschaftspolitik der Weimarer Republik zu sehen ist. Obwohl die Volkstumsforschung schon zu Beginn der Weimarer Republik zur Revision der Versailler Friedensvertraege etabliert wurde und ihre Wurzeln im Kaiserreich zu suchen sind, konnte sie erst im Verlauf der 30er Jahre zu einem machtpolitischen Instrument und damit vollends zur Legitimationswissenschaft aufsteigen, die waehrend des Krieges schliesslich zu Eroberungszwecken eingesetzt wurde. Die machtpolitische Wirkung der Volkstumsforschung und ihrer Institutionen wurde im Kontext der verschiedenen Phasen der NS-Diktatur und der Nachkriegszeit untersucht. Die Gliederung nach Epochen und die Uebergangsprozesse, die vermeintliche Zaesuren in der Main-stream-Historiographie nahelegen, erhielten besondere Aufmerksamkeit, da die Legendenbildung der Selbstdarstellung der Volkstumsforscher nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder auf die Begruendung des Forschungsprogramms der Volks- und Kulturbodenforschung in der Weimarer Republik verwies. Inwieweit aber dieses von jungkonservativen Kreisen in der Weimarer Republik durchgesetzte Paradigma, durch sie selbst im NS weiterhin betreut und mit rassistischen Kriterien aufgeladen wurde, entzog sich bisher der historiographischen Main-stream-Forschung.

Der Reiz sich mit den politischen Beratern zu befassen, gewinnt vor dem Hintergrund der verschiedenen kulturwissenschaftlichen  Disziplinen Geographie, Geschichte, Vorgeschichte, Volkskunde und Kunstgeschichte, die mit dem Paradigma beruehrt sind, eine gewisse Attraktivitaet, liegt doch ein grosser Teil der Aufarbeitung dieses weiten Feldes auch ueber "50 Jahre danach" brach, und - wenn ich mich nicht irre - geradezu in der Hauptdisziplin, die wegen ihrer Profession mit diesem Thema vertraut sein sollte! (siehe dazu den Beitrag Peter Schoettlers v. 16. Juni in H-SOZ-U-KULT) Wenn die Dominanz der waehrend der Weimarer Republik entwickelten Volks- und Kulturbodentheorie - der historisch-geographisch untermauerten Theorie von der Identitaet von Volks- und Staatsgrenzen, die einer ethnopolitischen Parzellierung Europas unter Vorherrschaft Deutschlands Vorschub leistete - im Dritten Reich eine hegemoniale Rolle spielte, so sollten sich diese Strukturen nicht nur wissenschaftlich, sondern auch in gesellschaftlichen Institutionen niederschlagen.  Ausgehend von dieser These wurden einerseits die innere Organisation der VFG als auch die aussenwirksame institutionelle Einbindung u. a. in die "Reichsgemeinschaft fuer deutsche Volkswissenschaft" beruecksichtigt. Meine Untersuchung konzentriert sich dabei auf den Personenkreis, der die strategische Fuehrung dieser VFG innehatte und die sechs Forschungsgemeinschaften leitete, die sich das Arbeitsgebiet regional aufteilten. Neben der Untersuchung der strategischen Fuehrungsebene, dem Vorstand der VFG wurden auch die operative Ebene des Brain trusts untersucht. Zweitens wurde eine Analyse der regionalen Gliederung der Arbeits- und Funktionsbereiche der aus sechs verschiedenen FOG bestehenden VFG durchgefuehrt und ihre Verflechtung mit den regionalen politischen Eliten des NS und voelkischen Verbänden "Deutscher Schutzbund" "Volksbund fuer das Deutschtum im Ausland" nachgewiesen. Damit waren notwendigerweise auch die in diese wissenschaftliche Grossinstitution eingebundenen landeskundlichen Institute zu beruecksichtigen, welche in der Regel auch die Kontrolle in der grenzueberschreitenden regionalen Forschung ausuebten.

Kulturpolitisch oder im erweiterten Foucaultschen Sinne - kulturtechnisch - wird die Arbeit insofern nur die grenzueberschreitende Forschung nachvollziehen, die auf  Bevoelkerungen anderer Staaten zugreift. Die VFG waren fuer die Vorbereitung der gewalttaetigen Bestrebungen des Dritten Reiches verantwortlich, indem sie die angrenzenden Nachbarstaaten historisch-geographisch und kulturell als deutsch beeinflusst deklarierten, ihre Bevoelkerungen als deutscher Herkunft bestimmten und in auslaendischen Persoenlichkeiten separatistischer Bewegungen, sogenannten Germanophilen,  Sympathisanten des Nationalsozialismus und

Kollaborateure suchten. Waehrend der Kriegszeit schliesslich entwickelten sich die VFG zu einem wissenschaftlichen Brain trust, der der SS angegliedert wurde. Da die SS als Hauptakteur der Menschenumsiedlungen und -vernichtungen schon seit den Nuernberger Kriegsverbrecherprozessen als Verantwortliche identifiziert wurde, liegt die Frage nach der Mitverantwortung der Wissenschaftler auf der Hand. Letztlich steht durch diese Erkenntnis die Diskussion an, warum die Menschenvernichtung, die ebenfalls dem Reichssicherheits-Hauptamt unterstand, so effizient war. Darauf versucht die Studie klaerende Hinweise zu liefern, die die kuenftige Wissenschaftsgeschichte nicht mehr umgehen kann. Andernfalls wuerde sie ihre Glaubwuerdigkeit einbuessen, Wissenssysteme erforschen zu wollen. Einen nicht unerheblichen Anteil auf die erfolgreiche Durchsetzung der Volkstumsforschung und des von den Volktumsforschern mit ausgearbeiteten NS-Volksgruppenrechts verdanken die VFG ihrer streng zentralistischen Fuehrung, die etwa 1.000 involvierte Personen anleitete. Sie unterstanden nicht nur dem RMdI und dem AA, sondern seit 1937 auch der Volksdeutschen Mittelstelle, einer Arbeitseinheit der SS, bis 1943 das Reichssicherheits-Hauptamt zusammen mit dem AA die Dienstaufsicht uebernahm. In diesem Zusammenhang beteiligten sich die Volkstumsforscher nicht nur an der Ausarbeitung der bevoelkerungspolitischen und landeskundlichen Grundlagen fuer den Generalplan Ost, der die Basis der NS-Eroberungspolitik und kuenftigen Lebensraumpolitik darstellte, die Beteiligung der wissenschaftlichen Beihilfe zum Voelkermord ist ebenfalls belegt. Die VFG waren mittelbar am Holocaust beteiligt, indem sie Volkstumskarten aller Art und Feldstudien, die die ex ante und ex post Situation in den von den SS-Einsatzgruppen bereinigten besetzten Gebieten durchfuehrten.

Auf dem 51. Deutschen Geographentag in Bonn werden am 9. Oktober 1997 die Ergebnisse des Forschungsprojektes zwischen 9-13 Uhr im Geographischen Institut, Meckenheimer Landstrasse 166 im Rahmen der Arbeitskreissitzung "Geschichte der Geographie" vorgestellt.

Meine Publikation "'Ein Volk - Ein Reich'. Zur Archaeologie des Brain trusts Volksdeutsche Forschungsgemeinschaften im Nationalsozialismus" erscheint im Sommer 1998.

Kontaktadresse:
Dr. Michael Fahlbusch
Seminar fuer Historische Geographie
Konviktstr. 11
53113 Bonn
Fax: ++49-228-73 76 50


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