Quelle - email <H-Soz-u-Kult>
From: Mark Spoerer <spoerer@Uni-Hohenheim.DE> |
Ich mochte zwei Bemerkungen zur Rolle der Historiker im Dritten Reich machen.
Zunaechst aber eine kurze Vorbemerkung: Dies hier ist ein Schnellschuss, der die von Ruediger Hohls erwuenschte Diskussion in Gang bringen soll. Ich bitte, hier nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und werde mich in Einzelpunkten gerne eines Besseren belehren lassen.
1. Meines Erachtens sollte man bei der Beurteilung der Rolle von Historikern im Dritten Reich die wissenschaftsgeschichtlichen von den geschichtswissenschaftlichen Aspekten weitgehend trennen. Sollten die Ergebnisse von Aly u.a. (Aly schiesst ja oefters mal ein bisschen schnell - wenn auch immer in die richtige Richtung) Bestand haben, so sind sie wissenschaftshistorisch natuerlich von Bedeutung. Ob sie fuer die Bewertung der geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisse der betroffenen Forscher von Belang sind, waere noch zu pruefen (bei Tuemmler ist das offensichtlich der Fall, wie das posting von W.D. Wilson zeigt). Das Wissen, dass bestimmte Forschungsergebnisse von jemand erarbeitet wurde, der den Nazis zugearbeitet hat, mag (und sollte) zu einer besonders kritischen Rezeption fuehren. Aber dass Forschung nun mal interessegeleitet ist, wissen wir ja mittlerweile; und kritisch muessen wir immer sein. Im uebrigen sehe ich da eine Parallele zur Kunst: Die aesthetische Beurteilung eines Kunstwerks sollte unabhaengig davon sein, ob der Kuenstler seine Frau geschlagen hat oder fuer die falsche Partei eingetreten ist.
2. Ich habe den Eindruck, dass, je laenger man sich mit dem Nationalsozialismus beschaeftigt, man um so staerker desillusioniert wird, was menschliches Verhalten angeht, wenn nicht sogar zynisch. Wenn man in der Schule erstmals mit dem NS konfrontiert wird, ueberkommt einen das Grauen, aber zugleich das wohlige Gefuehl, das ja heute alles ganz anders sei. Je mehr man sich dann als Historiker damit beschaeftigt, und je mehr man glaubt, die Wirkungsweise des NS-Systems zu durchschauen, um so banaler wird es; man durchlebt eine Art negativer Entzauberung. Insofern finde ich weder das mutmassliche Verhalten von Conze und Schieder im Dritten Reich, noch das Verhalten der Zunft nach 1945 besonders ueberraschend (was die Tatbestaende als solche nicht besser macht). Die Aufgeregtheit kommt mir etwas kuenstlich vor, ein bisschen analog zu den Versuchen der ZEIT, etwa vierteljaehrlich z.T. uralte Kamellen auszugraben und mit viel Tamtam als neue Erkenntnisse zu verkaufen (Verbrechen der Wehrmacht, Widerlegung der Praeventivkriegthese, mit Einschraenkungen auch Goldhagen).
Zehn Jahre nach dem Historikerstreit erscheint es mir voellig absurd, wie intelligente Leute ernsthaft behaupten konnten, der NS sei etwas so Exzeptionelles gewesen, dass man ihn nicht mit anderen Greuelregimes vergleichen duerfe. Abgesehen davon, dass das nichts anderes als die Betriebsunfall-These in politisch korrekter Form ist, ist doch der entscheidende Punkt, dass Massenmorde wie in der Sowjetunion, China, Kambodscha und neuerdings auf dem Balkan und Zentralafrika leider offenbar immer wieder passieren.
Das klingt ein bisschen platt und nach Stammtisch, aber wo bitte ist der qualitative Unterschied zwischen einem Opfer des NS-Holocaust und eines der anderen genannten Verbrechen? Hier wie dort wurden und werden Menschen nur wegen ihrer ethnischen oder sozialen Herkunft massakriert, Frauen und Kinder eingeschlossen. Das germanozentrische Land-eines-Goethe-und-Schiller-Argument vermag ich nicht so recht nachzuvollziehen; ist China keine 'Hochkultur', bzw. sind Bewohner des Balkans der 1990er so viel anders als im Deutschland der 1930er Jahre?
Worauf es doch bei der Erforschung des NS und seiner 'Bewaeltigung' in BRD/DDR ankommt (und das gilt genauso fuer die Untaten anderer Mordregimes), ist nicht, n Greuelgeschichten die n+1te hinzuzufuegen, sondern (2.) die Strukturen zu kapieren, innerhalb derer eben nicht nur eine kleine 'Elite', sondern recht grosse Teile der Bevoelkerung zu Mittaetern beim Massenmord werden, sei es direkt mit der Mordwaffe oder indirekt mit 'wissenschaftlichen' Gutachten. Und man muss herausarbeiten, wie es (1.) ueberhaupt zur Entstehung dieser Strukturen kommt. Ziel der ganzen Sache ist ja schliesslich, die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung zu reduzieren. (Wer negiert, dass man aus der Geschichte lernen kann und muss, reduziert m.E. Geschichtswissenschaft auf folkloristisches Infotainment, und sollte konsequenterweise sofort McKinsey rufen, um 95% der staatlich finanzierten Historikerstellen zu streichen.)
Mit anderen Worten, der NS muss meines Erachtens de-historisiert werden. Nicht, um das Grauen zu verharmlosen, sondern um es rational nachvollziehen zu koennen mit dem Ziel, es nicht noch einmal entstehen zu lassen.
Insofern sollten wir weniger darueber diskutieren, ob und inwieweit sich Conze, Schieder oder andere prominente Nachkriegshistoriker in die Dienste des NS stellten, sondern warum dies offenbar viele Historiker taten. Die Personen Conze und Schieder sind in diesem Zusammenhang eigentlich nur von anekdotischer Bedeutung, allenfalls als prominente Beispiele eines Idealtyps des willfaehrigen Intellektuellen in einer Diktatur.
M. Spoerer
Mark Spoerer
University of Hohenheim tel: +49 (0)711-459-3957
Dept. 570A fax: +49 (0)711-459-3803
D-70593 Stuttgart e-mail: spoerer@uni-hohenheim.de
Germany http://www.uni-hohenheim.de/~www570a/spoerer/index.htm
Diskussionen in H-Soz-u-Kult Diskussion Historiker in der NS-Zeit...