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Anmerkungen der Redaktion:
Der nachfolgende Artikel unseres Listenmitglieds Bodo Mrozek erschien in der Schweizer Wochenzeitung DIE WELTWOCHE vom 3.Juli '97. Weitere Zeitungsartikel zu diesem Thema sind erschienen im TAGESSPIEGEL vom 17. Juni und der FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 1. Juli 1997.
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Der Artikel ergaenzt die Beitraege aus den vergangenen Wochen zur Volksgeschichte der NS-Zeit und zur Rolle einiger prominenter Wegbereiter der bundesdeutschen Sozial- und Strukturgeschichte (Th. Schieder und W. Conze). Angesichts der Brisanz des Gegenstandes fuer die Disziplin verwundert es, dass sich bisher keine Diskutanten auf H-Soz-u-Kult zu Wort gemeldet haben. Die Mailingliste ist kein einseitiger Informationskanal, sondern steht allen Subskribenten fuer Diskussionsbeitraege offen. R. Hohls
Neuste Forschungen belasten die Begruender der deutschen Nachkriegs-Geschichtsforschung
Die frueheren Volksgeschichtler Theodor Schieder und Werner Conze standen in den sechziger Jahren Pate fuer die Schule der eher linksliberalen und bisweilen auch marxistisch angehauchten Sozial- und Strukturgeschichte. Nun wird ihnen eine braune Vergangenheit zum Vorwurf gemacht.
Von Bodo Mrozek
Kaum ist die Goldhagen-Debatte einigermassen verklungen, wird die Historikerzunft von einer neuen Diskussionheimgesucht. Deutschlands Geschichtswissenschaftler streiten wieder, und wieder geht es um Schuld. Diesmal allerdings um die der Geschichtswissenschaft selbst, die - be-zeichnenderweise - erst jetzt von ihrer eigenen NS-Vergangenheiteingeholt wird. Ironie der Geschichte: Waehrend Historiker die Verbrechen anderer Berufsstaende in den letzten Jahrzehnten akribisch aufarbeiteten, der Juristen oder Mediziner etwa, blieben die eigenen Zunftgenossen verschont. Bis jetzt.
Die nun erhobenen Vorwuerfe treffen niemand Geringeren als die Begruender der Nachkriegs-Historiographie. So den Historiker Karl Dietrich Erdmann (1910-1990), nach 1945 als Praesident des internationalen Historikerverbandes und Mitautor des "Gebhardt-Handbuches" ein Doyen der Geschichtswissenschaft. Die Historiker Martin Kroeger und Roland Thimme haben seine Taetigkeit waehrend des Nationalsozialismus untersucht. Demnach verfasste Erdmann, Mitglied des NS-Lehrer-Bundes, ein Schulbuch der Reihe "Das Erbe der Ahnen". In dem Manuskript, das allerdings unveroeffentlicht blieb, befuerwortet er die Nuernberger Rassengesetze.
Erdmann ist nicht der einzige Wissenschaftler, dem eine braune Vergangenheit vorgeworfen wird. Nach dem Skandalum den ehemaligen SS-Germanisten Schneider, der sich nach 1945 selbst entnazifizierte, indem er seinen Namen kurzerhand in "Schwerte" umschmiedete, belasten neuere Forschungen auch so einflussreiche Historiker der fuenfziger und sechziger Jahre wie Hermann Aubin, Hermann Heimpel oder Otto Brunner. Mit Theodor Schieder (1909-1984)und Werner Conze (1910-1986) treffen die Vorwuerfe zwei der bedeutendsten Integrationsfiguren der bundesrepublikanischen Wissenschaft. Als angesehene Ordinarien, Mitglieder der Wissenschafts-Akademien und Vorsitzende des Historikerverbandes genossen sie hoechstes Ansehen. Nun beginnen sich die ersten Risse in derFassade zu zeigen.
Bereits vor fuenf Jahren wurde ein Dokument veroeffentlicht, das die Verstrickung Theodor Schieders in die grossdeutschen Eroberungsplaene der Nationalsozialisten bewies. In einer sogenannten "Polendenkschrift" hatte Schieder 1939 die "Herausloesung des Judentums aus den polnischen Staedten" gefordert. Trotz dieser Enthuellung blieb eine oeffentliche Debatte bisher aus.
Doch jetzt tauchen ganz neue Quellen auf. In seinem umstrittenen Buch "Macht, Geist, Wahn - Kontinuitaeten deutschenDenkens" hat der Berliner Journalist und Historiker Goetz Aly bislang unbekannte Dokumente ausgewertet. Noch im Maerz 1945 habe Schieder auf der SS-Ordensburg Sonthofen eine "Durchhalterede" gehalten. Aly sieht in den bevoelkerungsgeschichtlichen Arbeiten der "Blut-und-Boden-Historiker", darunter auch Werner Conze, einen aktiven Beitrag zur Ermordung der europaeischen Juden: "Faktisch handelt es sich um Vorschlaege zur beschleunigten Deportation gezielt ausgesuchter Bevoelkerungsgruppen" - ausgearbeitet von der sogenannten "Volksgeschichte". Aufgabe dieser "kriegswichtigen" Geschichtswissenschaft war es, den Angriffskrieg auf Polen zu rechtfertigen und die geplanten Vertreibungen aus den gewaltsam zu "regermanisierenden" Gebieten vorzubereiten. Originalton der Geheimdenkschrift: "Die Herstellung eines geschlossenen Volksbodens macht Bevoelkerungsverschiebungen allergroessten Ausmasses notwendig." Dazu gehoerte fuer Schieder auch die voellige "Entjudung Restpolens". Die Adressaten dieser "Gutachten zum sofortigen Herrschaftsgebrauch", so Goetz Aly, sassen im Auswaertigen Amt und dem Ministerium des Inneren - Wissenschaft und Nationalsozialistische-Politik arbeiteten eng zusammen.
Blieb eine oeffentliche Debatte bisher aus, so verlaeuft sie nun um so heftiger. In der Universitaet Koeln wurden die Forschungen ueber Erdmann anlaesslich einer Podiumsdiskussion diskutiert, und in der Berliner Arbeitsstelle fuer Vergleichende Gesellschaftsgeschichte fand kuerzlich ein Streitgespraech statt.
Goetz Aly geht mit der Geschichtswissenschaft aeusserst hart ins Gericht: In der "zweiten Generation" habe ein "ungeschriebener Codex des Schweigens" geherrscht. Die Schueler Conzes und Schieders, so angesehene Historiker wie Hans-Ulrich Wehler, Wolfgang Mommsen, Lothar Gall oder Martin Broszat, haetten sich mit der Vorgeschichte ihrer akademischen Lehrer nicht auseinandergesetzt. Es stelle sich die Frage, merkt Aly mit der ihm eigenen Polemik an, "wie deutsche Geschichtswissenschaftler die Weltkriegsepoche ueberhaupt verantwortungsvoll bearbeiten wollen, wenn sie sich der Kritik des eigenen Faches entziehen".
Der Sozialhistoriker und Schieder-Schueler Hans-Ulrich Wehler warnt dagegen vor einem vorschnellen Urteil. Fuer ihn ist Theodor Schieder "kein Vorausplaner des Holocaust". Christof Dipper (Darmstadt) haelt Goetz Alys Thesen fuer "infam": Ein direkter Zusammenhang zwischen Volksgeschichte und Holocaust ist fuer ihn noch nicht bewiesen. Juergen Kocka (Berlin), neben Wehler einer der international renommiertesten Sozialhistoriker, verweist auf die Brisanz der umstrittenen Erkenntnisse. Die frueheren Volksgeschichtler Schieder und Werner Conze standen in den sechziger Jahren Pate fuer die Schule der eher linksliberalen und bisweilen marxistisch angehauchten Sozial- und Strukturgeschichte. Steht nun eine Neubewertung der Urspruenge dieser verdienstvollen Schule bevor? Schliesslich waren es in den sechziger Jahren dieselben Wissenschaftler, die auf die "innovativen" Methoden der Volksgeschichte, wie Statistik und Demographie, zurueckgriffen und sie gewissermassen als Schwerter im Methodendiskurs gegen eine traditionelle Politikgeschichte benutzten. Eben jene Methoden, die von den Volksgeschichtlern dazu missbraucht worden waren, die juedische Bevoelkerung in den eroberten Gebieten zu erfassen - bittere Pillen fuer die wissenschaftlichen Erben der Volksgeschichte.
Willi Oberkrome zeichnet in seinem Buch "Volksgeschichte" das Janusgesicht dieser Disziplin: inhaltlich voelkisch und antisemitisch, aber methodisch "innovativ". Womit die Frage nach der "Modernitaet" des Nationalsozialismus ein weiteres Mal gestellt wird. Oberkrome sieht in der NS-Wissenschaft den Versuch bestaetigt, mittels moderner,rationaler Methoden eine antizivilisatorische "Gegenmoderne" aufzubauen.
Eine deutliche Sprache sprechen auch die Quellen von Ingo Haar (Halle), der eine Dissertation ueber Historiker im Nationalsozialismus schreibt: Die Volkstumshistoriker haetten die besetzten Gebiete vor und waehrend den von ihnen selbst empfohlenen "ethnischen Saeuberungen" bereist und vom Verbrechen an den europaeischen Juden zumindest gewusst. Mehr noch: Es habe sich um die "Begleitforschung des Holocaust" gehandelt, denn ab 1943 sei die Volkstumsgeschichte direkt dem Reichssicherheitshauptamt der SS unterstellt worden. "Es handelte sich dabei nicht,wie bislang suggeriert wird, um Einzeltaeter, sondern um eine weitverzweigte, systematisch aufgebaute Grossforschung" -ein bisher ungeschriebenes Kapitel deutscher Wissenschaftsgeschichte. "Die Art und Weise, wie die NS-Vergangenheit geheimgehalten wurde, deutet darauf hin, dass sich eine Generation von Belasteten verblueffend perfekt getarnt hat", meint Haar.
In die gleiche Kerbe schlaegt der Historiker Peter Schoettler (Berlin), wenn er den "Hang der Betroffenen zur autobiographischen Beschoenigung" als "Lebensluegen und bewusste Desinformation" geisselt. Schoettler plaediert fuer eine rueckhaltlose Aufklaerung der Verstrickung intellektueller Eliten in NS-Verbrechen, warnt aber mit den Worten Marc Blochs davor, in eine reine Schulddebatte zu treten: "Die Geschichtswissenschaft ist kein strafender Erzengel." Man muesse differenzieren, aber dennoch nach Berufungskartellen und Beamtenseilschaften fragen, die den belasteten Historikern die allzu schnelle Rueckkehr in Amt und Wuerden ermoeglichten. Es gelte, nicht nur einzelne Personen, sondern ganze Institutionen auf den Pruefstand zu stellen. Netzwerke der ehemaligen "Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften" haetten bis in die Nachkriegszeit - und teils bis heute - Bestand.
Wie eng in der Forschungsgemeinschaft Politik und Wissenschaft verzahnt waren, hat der Wissenschaftshistoriker Michael Fahlbusch untersucht. Das Ausmass dieses nationalsozialistischen Wissenschaftsnetzes sei nicht zu unterschaetzen: Die mit einem aeusserst grosszuegigen Etat ausgestatteten Forschungsverbuende (1944 fast 1,6 Millionen Reichsmark) haetten zeitweilig 800 Mitarbeiter beschaeftigt. Eine Hauptaufgabe sei die Planung eines ethnisch geteilten Europas unter deutscher Hegemonie gewesen. Fahlbusch weist Verbindungen zu dreissig separatistischen Auslandsorganisationen nach. Der lange Arm der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften reichte auch bis in die Schweiz. Mindestens drei Gruppierungen wurden von den Nazi-Wissenschaftlern gefoerdert, etwa der Deutschschweizerische Sprachverein oder der germanophile Volksbund fuer die Unabhaengigkeit der Schweiz. Ueber Kontaktpersonen wie den Aargauer Staatsarchivar Hektor Ammann sei versucht worden, propagandistisch gegen die franzoesische und italienische Kulturpolitik vorzugehen - mit dem Ziel der Eingliederung der Schweiz in die grossdeutschen Expansionsplaene. Daneben haetten sich die Forschungsgemeinschaften in den besetzten Gebieten auch des Kunst- und Kulturraubs und der "wissenschaftlichen Beihilfe zum Holocaust" schuldig gemacht, wie aus Fahlbuschs noch unveroeffentlichten Forschungen hervorgeht.
Mittlerweile werden Konsequenzen gefordert. Peter Schoettler, der im Suhrkamp-Verlag einen Sammelband ueber dieNS-Geschichtswissenschaft vorbereitet, verlangt eine oeffentliche Erklaerung des Historikerverbandes, der sich bei den Opfern entschuldigen solle.
Eine schonungslose Offenlegung der Fakten erscheint in der Tat ebenso noetig wie eine sachliche Debatte, die ueber Fragen der Schuld hinaus eine wissenschaftshistorische Analyse vorantreibt. In diesem Sinne fordert Hans-Ulrich Wehler eine "offene Diskussion" auf dem naechsten deutschen Historikertag - "auch wenn es sehr schmerzhaft ist". Einzelne Beteiligte wittern bereits "einen neuen Historikerstreit" um Hitlers willige Wissenschaftler. Ob ein weiterer emotionaler Streit unter den Historikern der Klaerung dienlich ist, bleibt zweifelhaft. Aber eine gruendliche Auseinandersetzung mit ihrer duesteren Kinderstube wird der deutschen Geschichtswissenschaft nicht erspart bleiben -sie erfolgt spaet genug.
Literatur:
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