Historiker im Nationalsozialismus und die Historisierung des "Dritten Reiches" als Forschungsproblem

von Ingo Haar

Als Martin Broszat vor 15 Jahren fuer die Historisierung des Nationalsozialismus eintrat, dachte er an die Freigabe von Wissensgebieten, an die sich vorher keiner getraut hat. Er forderte die Aufarbeitung der Verflechtung der alten nationalkonservativen Eliten mit den jungen Funktionaeren des NS-Staates. Damit sollte das "Dritte Reich", das zuvor als eine Art barbarische Zwischenetappe in der deutschen Geschichte galt, gegenueber den anderen Epochen gleichwertig behandelt werden. Die zunehmende Distanz zu den Schrecken des Regimes und das Nachwachsen demokratischer Eliten in Politik und Gesellschaft, die weder auf eine Sozialisation im NS-Regime zurueckblicken noch fuer die Verbrechen ihrer Grosseltern schuldig zu sprechen sind, schien diese Historisierung des Nationalsozialismus zu rechtfertigen.

Ungefaehr zeitgleich mit diesem Plaedoyer erschien eine historische Arbeit, die mit Broszats Anliegen einer erneuten Beschaeftigung mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun zu haben schien. Als der englische Historiker Michael Burleigh seine bahnbrechende Studie ueber den "Drang nach dem Osten" der deutschen Geschichtswissenschaft im Zweiten Weltkrieg veroeffentlichte, setzte er unbeabsichtigt eine erneute Auseinandersetzung mit den Urspruengen der deutschen Zeit- und Sozialgeschichtsschreibung in Gang. Burleigh war es gelungen, die Verbrechensgeschichte deutscher Historiker im Nationalsozialismus dingfest zu machen. Obwohl er Einblick in die Nachlaesse wichtiger NS-Historiker nehmen konnte, blieb seine Arbeit weitgehend unbeachtet.

Burleigh wies nach, dass namhafte Fachvertreter der deutschen Geschichtswissenschaft wie Hermann Aubin, Theodor Schieder und Werner Conze den geheimen Denkfabriken des "Dritten Reiches" angehoerten, welche die Neubesiedlung des eroberten "Lebensraumes" durch deutsche Siedler ideologisch rechtfertigten. Sie lieferten die fachlichen Instrumente, um ethnische Minderheiten auf Landkarten und mit Minderheitenstatistiken zu erfassen, bevor die Einsatzgruppen der SS zugriffen. Zudem gehoerten diese Forschungsgruppen im Umfeld der NSDAP und des Sicherheitsdienstes der SS den fuehrenden Historikergruppen der fruehen Bundesrepublik an. Die Reaktion auf diese Forschungsergebnisse fiel in Deutschland eigentuemlich mager aus, so dass junge Historiker wie Willi Oberkrome ein "Kartell des Schweigens" ausmachten. Das verwundert nicht, denn Hermann Aubin, Theodor Schieder und Werner Conze uebten nacheinander die Praesidentschaft ueber den Deutschen Historikerverband aus.

Die entscheidende Wende, diese und neue Forschungsergebnisse angemessen zur Kenntnis zu nehmen, kam erst mit dem Frankfurter Historikertag von 1998. Goetz Aly, Michael Fahlbusch und Peter Schoettler erzwangen eine Debatte ueber die Frage, welchen Beitrag deutsche Historiker an der Vernichtungspolitik im Osten und den Frankreichplaenen Hitlers hatten. Kurz zusammengefasst basierte die Argumentation auf folgenden Erkenntnissen: So, wie man beispielsweise heute per Satellit in Suedosteuropa die Topographie ermitteln und dann die Grenzziehungen mit den ethnischen Teilungen via Computersimulation vornehmen koennte, geschah aehnliches im Verlauf der Shoah auf dem Messtisch der Planungsstaebe der SS. Mehrere Fachdisziplinen haben sich damals damit beschaeftigt, in ganz Europa die ethnischen Minderheiten, also vornehmlich Juden, aber auch Sinti und Roma sowie nicht zu assimilierende slawische "Volksgruppen" statistisch und kartographisch zu erfassen, bevor der "Zugriff" erfolgte. Die daran beteiligten Wissenschaftler agierten nicht isoliert, sondern arbeiteten interdisziplinaer in festen Forschungseinrichtungen mit einem Personalpool von weit mehr als 1.000 Fachwissenschaftlern. Es ist somit von einer gezielten staatlich gefoerderten Professionalisierung und Institutionalisierung bestimmter Forschungszweige in den Sozial- und Kulturwissenschaften im Zweiten Weltkrieg auszugehen.

Selbst die wissenschaftlichen Auswirkungen, welche die Fachdisziplinen in der Nachkriegszeit durch ihre Mitarbeit an den Plaenen der Nationalsozialisten zeitigten, sind bekannt. Die Innovationsschub, der in den fuenfziger und sechziger Jahre die bundesdeutsche Zeit- und Sozialgeschichtsschreibung erfasste, beruhte mitnichten auf einer verzoegerten Rezeption soziologischer Verfahren von Max Weber, der gewissermassen ueber den Umweg des westlichen Auslands fachlich zurueckkam. Bereits der NS-Jurist Hans Frank forderte 1941 hoechst persoenlich das Bereitstellen von Wissen ueber die Grundlagen des buerokratischen Systems. Tatsaechlich ist der Umgang mit der historischen Statistik und kartographischer Verfahren seit den 20er Jahren in der deutschen Geschichtswissenschaft eingeuebt worden. Das Perfektionieren dieser Verfahren erfolgte spaeter auf dem Feld der Umsiedlungs- und Vernichtungspolitik in der praktischen Arbeit, um beispielsweise ethnische Minderheiten zu lokalisieren oder regionale Strukturanalysen zu erstellen.

Die Ergebnisse der juengeren Fachvertreter zirkulierten laengst vor dem Frankfurter Historikertag in Form von Dissertationen und Forschungsberichten. Ihre Interessen blieben zunaechst rein auf wissenschaftliche Fragen beschraenkt. Die politischen Auswirkungen der besagten Ertraege der Forschung indes waren kalkuliert. Die Kritik zielte zunaechst gegen die nationalistische Selbstgefaelligkeit, die der kritischen Forschungen noch immer entgegensteht.

Bis weit in die neunziger Jahre herrschte in der deutschen Ostforschung die Meinung vor, dass die deutsche Ostforschung ein bedauerliches Produkt der deutsch-polnischen Systemkonkurrenz der dreissiger Jahre gewesen sei. Die Mitwirkung deutscher Ostforscher an der Vernichtungspolitik in Polen wissenschaftlich aufzuarbeiten, war ein Tabu. Rex Rexheuser, der damalige Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Warschau, machte 1992 noch die schlichte Rechnung auf, dass die polnische Westforschung nur eine nationalistische Variante der deutschen Ostforschung sei. Bevor die deutsche Ostforschung ihre Verbrechensgeschichte im Dritten Reich zu klaeren in der Lage war, musste erst die polnische Seite zeigen, wie sie nach 1945 die Vertreibung der Deutschen aus den damaligen preussischen Ostgebieten gerechtfertigt hatte. Deutlicher kann der Zeigefinger nicht hochgehalten werden.

Wie ernst die Schueler der alten Ostforscher die Aufklaerung der Verbrechensgeschichte ihrer akademischen Leitfiguren nahmen, zeigt der von Michael Garleff herausgegebene Band ueber "Interethnische Beziehungen in Ostmitteleuropa als historiographisches Problem". Dieser Band ist Reinhard Wittram gewidmet. Dieser war im Rang eines SS-Hauptsturmfuehrers Mitgruender der Reichsuniversitaet Posen und Beauftragter von Arthur Rosenberg fuer die Ostausrichtung der deutschen Wissenschaft. In Landsersprache ging es in diesem mit Bundesmitteln veroeffentlichten Band zur Sache: Wehmuetig schildert Hans-Werner Rautenberg, wie der NS-Historiker Kurt Lueck im "Dunkel ukrainischer Waelder" blieb. Der SS-Hauptsturmfuehrer "fiel" waehrend einer "Saeuberungsaktion" gegen Patisanen. Was in dem Artikel verschwiegen wurde: Kurt Lueck gehoerte mit zu den Experten, die der SD aus dem Personalpool der geheimen Forschungseinrichtungen der "Volksgeschichte" rekrutierte, um die Saeuberung ethnisch gemischter Regionen im damaligen Warthegau anzuleiten.

Statt die Chance des Frankfurter Historikertages zu nutzen, um einen neuen Umgang mit der Fachgeschichte zu verwirklichen, entschuldigte sich Johannes Fried als Praesident des Fachverbandes der deutschen Geschichtswissenschaft in der Oeffentlichkeit. Er raeumte als zwar erster fuehrender deutscher Historiker ein, dass viele der damaligen Schueler um ihrer Karriere Willen die NS-Vergangenheit ihrer Lehrer bewusst verschwiegen haetten. Gleichzeitig mahnte er insbesondere juengere Historiker zur Maessigung, aber ohne konkrete Unterstuetzung anzubieten. Damit ist fruehzeitig die Chance verspielt worden, eine unabhaengige Untersuchungskommission einzurichten, wie sie alle im Mittelpunkt des oeffentlichen Interesses stehenden Einrichtungen fuer noetig befinden, um den Umgang mit dem Erbe aus der NS-Zeit zu lernen.

Aufgrund des Praesidenten Rede rechnete unmittelbar nach dem Frankfurter Historikertag keiner mehr damit, dass das Rad der Erkenntnis zurueckgedreht werden koennte. Wie fragil die Position derer innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft aber ist, die das Gebot von Winfried Schulze oder Otto Gerhard Oexle teilen, eine "Revision" des alten Forschungsstandes "auf breiter Front" einzuleiten, verdeutlicht die juengste wissenschaftshistorische Tagung, die Prof. Ruediger vom Bruch im Auftrag der DFG im April des Jahres moderierte. Dort sollte das Forschungsfeld neu bestimmt werden. Es kam nicht etwa zu einem klaerenden Fachgespraech, sondern zu einer heftigen Kollision der Werte, wie die NS-Zeit im Verhaeltnis zur allgemeinen deutschen Geschichte, speziell in Relation zur Geschichte der Bundesrepublik zu interpretieren sei.

Juergen Reulecke meint beispielsweise, dass er mit einer Geschichte der Mentalitaet der Forscherjahrgaenge der um 1890 und 1910 Geborenen beweisen koenne, dass die Taetigkeit von Werner Conze oder Theodor Schieder in den Sonderforschungseinrichtungen des NS fachlich und politisch weniger ins Gewicht fiele als ihre Aufbauverdienste in der liberalen Nachkriegszeit. Peter Schoettler widersprach dem. Seiner Meinung nach sei diese Argumentationsfigur dem Beduerfnis entsprungen, die negativen Folgen der Weiterexistenz von Netzwerken ehemaliger Nationalsozialisten zu verharmlosen. De facto bestreiten nicht nur fuehrende Historiker, sondern auch Vertreter anderer Disziplinen wie der Geographie inzwischen wieder die These, es habe im Dritten Reich zentral gesteuerte Forschungseinrichtungen mit regionaler Differenzierung gegeben.

Die neue Wissenschaftsgeschichte ist methodisch sowohl in der Analyse von akademischen Milieus als auch von Netzwerken aus der Politik sehr weit fortgeschritten. Statt wie frueher nach des Fuehrers Ideologie und den Folgen seines Handelns zu fragen, rueckt die konkrete Verwaltungspraxis der mittleren Eliten des NS-Staates in den Mittelpunkt. Diese Perspektive wird durch eine Beschreibung regionaler Planungsvorhaben ergaenzt. Mit diesem Verfahren kann die Gesamtplanung der Umsiedlungs- und Vernichtungspolitik der Reichsbehoerden in Verhaeltnis zu den konkreten Entscheidungen und Arbeitsvorhaben vor Ort gesetzt werden. Die Voraussetzung fuer dieses Verfahren bildet die Kenntnis der Biographie einzelner Taeter. Gegenueber diesen Ansaetzen wirkt die alte Fachhistorie stark befangen. Ihr Denkstil gruendet weiterhin auf den Tabus vergangener Jahre: Trotz genauer Kenntnis der Strukturen des NS-Regimes vermied man die Namensnennung von NS-Taetern. Darueber hinaus fand die Arbeitsteilung zwischen den Instanzen des NS-Staates und den Planungsexperten des Voelkermords weder auf der Ebene des Reiches noch in den Regionen eine Beruecksichtigung. Vergleichende Analysen waren nicht geplant. Auch die an der Genozidpolitik der Nationalsozialisten massgeblich beteiligten Planungsgruppen blieben ausgeklammert. Deshalb bietet der alte Forschungsstand keine methodischen Vorbilder. Jetzt von einer gezielten Denunziation altehrwuerdiger Historiker zu sprechen, nur weil Namen fallen und bislang nicht gelaeufige Verfahren zur Anwendung kamen, lenkt von den Defiziten der aelteren NS-Forschung ab.

Inzwischen ist unbestritten, dass die einflussreichsten Historiker unter den voelkischen Wissenschaftlern des NS-Regimes in der Nachkriegszeit die wichtigsten Forschungszweige der Bundesrepublik gruendeten. Das betrifft insbesondere die Zeitgeschichtsschreibung im renommierten Institut fuer Zeitgeschichte in Muenchen und das erste historische Grossprojekt der Bundesrepublik, die Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost- und Suedosteuropa. Letztere unterstand dem Vertriebenenministerium unter Theodor Oberlaender. Hier gingen ehemalige Mitarbeiter des SD und der SS mit ihren damaligen Forscherkollegen in bewaehrter Arbeitsteilung daran, die Geschichtsschreibung ihrer eigenen Vergangenheit als Funktionselite des Nationalsozialismus in die eigenen Haende zu nehmen. Ob darauf nicht eine wirksame Vernebelung der Verflechtung von Wissenschaft und Politik in der Nachkriegshistorie folgte, ist naheliegend.

Paul Kluke beispielsweise, der damalige Geschaeftsfuehrer des Instituts fuer Zeitgeschichte, fuehrte in den dreissiger Jahren Interviews in den Kohlegruben im Saarland durch. Offiziell trat er dort 1933 als neutraler Historiker auf, der die Geschichte des Saarkampfes in der franzoesischen Besatzungszeit schreiben wollte. Intern war er Mitarbeiter der Trierer Staatspolizei und einer geheimen Forschungsstelle Preussens, fuer die er gezielt rheinische Separatisten ausspionierte. Auch Helmut Krausnick, der die erste Geschichte der Sondereinsatzkommandos schrieb, war Mitglied dieser Organisation. Krausnick wertete zur Zeit der Besetzung Frankreichs im Auftrag der Wehrmacht und des Auswaertigen Amtes in franzoesischen Archiven Akten aus. Beide arbeiteten in derselben Institution wie Theodor Schieder. Dieser fuehrte waehrend des Krieges fuer Erich Koch, den "Schlaechter der Ukraine", die Statistik, welche Ostpreussen zugeschlagenen Regionen Polens "judenfrei" gemacht worden waren und wie viele deutsche Umsiedler ihre Stelle einnehmen koennten.

Schieder war in der Nachkriegszeit Leiter der Dokumentation der Vertreibung. Um die Vertreibung der Deutschen als singulaeres Ereignis in der europaeischen Geschichte darzulegen, verzichtete seine Forschergruppe entgegen ihrer Auflage durch ein unabhaengiges Historikergremium auf die Publikation der schon in Auftrag gegebenen Dokumentation der Vertreibungs- und Vernichtungsgeschichte der Juden und Polen. Der Grund: das Ministerium unter Theodor Oberlaender wollte nur deutsche Ansprueche im Zuge moeglicher Friedensverhandlungen als gerechtfertigt erscheinen lassen. Fuer diesen Zweck verhinderte das Ministerium die Veroeffentlichung von bereits erstellten Forschungen zur Vernichtungspolitik im Osten. Diese Aussparung durchzieht fast alle gaengigen Standardwerke zur Geschichte sowohl zur Aussenpolitik des NS-Staates als auch zur Besetzung Polens.

Dazu zwei Beispiele: Selbst Altmeister Martin Broszat ordnet die politische Gruppe, welche im Vertriebenenverband im Nationalsozialismus an den Polenplaenen des SD arbeitete, einem nationalkonservativen Kreis zu, der damals angeblich ohne jeden Einfluss geblieben sei. Der Spiritus Rector dieser Gruppe, Werner Lorenz, wird von Hans-Adolf Jacobsen noch in den sechziger Jahren als Reitergeneral alter preussischer Praegung bezeichnet, obwohl dieser als Himmlers ranghoechster SS-Offizier spaeter in Polen die Umsiedlung der deutschen und die Vernichtung der juedischen Bevoelkerung zu verantworten hatte und dafuer auch als Kriegsverbrecher verurteilt wurde. De facto handelte es sich bei diesen NS-Fuehrern und Wissenschaftlern um einen eingespielten Kreis. Ihm oblag ab 1938 nicht nur die Grenzziehung vom Muenchener Abkommen bis hin zur erneuten Teilung Polens im September 1939. Auch die "Endloesung der Judenfrage" und die Verfahren, die zur zwangsweisen Assimilierung slawischer Bevoelkerungsgruppen in das "Reich" fuehren, lagen in ihren Haenden.

Statt jetzt systematisch die Untersuchung bislang mit Tabus belegter historischer Konstellationen anzugehen, wird kraeftig blockiert. Als Michael Fahlbusch sein Forschungsergebnis vorstellte, dass der Leiter der politischen Abteilung im Ostministerium, Georg Leibbrandt, zusammen mit seiner rechten Hand, dem Geographen Emil Meynen, den Voelkermord an Juden billigte, erfolgte sofort Widerrede. Hans Boehm aus dem Bonner Geographischen Institut bestreitet nicht nur den systematischen Einsatz der fraglichen Experten an der "Endloesung", er denunzierte gleich die gesamte Forschungsleistung als Mythos. Amerikanische Wissenschaftler waren dagegen binnen eines Vierteljahres in der Lage, Fahlbuschs Kernthese zu ueberpruefen und zu bestaetigen.

In Folge dieser Forschungen ist unter den beiden Russlanddeutschen Vereinigungen in den USA eine Diskussion entbrannt. Georg Leibbrandt und Karl Stumpp transferierten in der Nachkriegszeit die Archivbestaende der ehemaligen Russlanddeutschen aus der Ukraine in die Staaten, wo sie als Teil des Kulturschatzes der deutschen Minderheit in Nebraska angenommen wurden. Ob diese kulturelle Leistung mit dem liberalen und demokratischen Verstaendnis eines US- Buergers vereinbar sei, wird gegenwaertig heftig diskutiert. Handelte es sich doch vormals um das Sammelgut der Planungsstaebe der SS aus der Umsiedlung der Russlanddeutschen in der besetzten Sowjetunion. Weit schwerer wiegt die Hypothek, dass Karl Stumpp selbst an der Ermordung von Juden in der Ukraine teilnahm. In Deutschland steht die Debatte an, ob ihm das 1965 verliehene Bundesverdienstkreuz nicht posthum aberkannt wird.

Die Faelle Karl Stumpp und Theodor Schieder belegen einen eklatanten Forschungsrueckstand in Deutschland. Nur weil beide das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland tragen, sind sie keine Saeulenheilige. Die Verdienste aus der Bundesrepublik gegen die Tathilfe beim Holocaust aufzurechnen, ist genau das Gegenteil von dem, wofuer Martin Broszat mit seinem Plaedoyer fuer eine Historisierung des Nationalsozialismus eingetreten ist. Die Faehigkeit zur Innovation eines Faches misst sich kaum an ihrem Vermoegen, unliebsame Sachverhalte zu verdraengen. Nach dem Aufarbeiten der Verbrechen deutscher Historiker aus der Zeit vor 1945 muss jetzt damit begonnen werden, nach den fachlichen und politischen Faktoren zu fragen, die das Schweigekartell so lange funktionieren liessen.


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Ingo Haar" <IngoHaar@aol.com>
Subject: Artikel Historiker im Nationalsozialismus
Date: 27.09.2000


       

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