Anfrage: Sterblichkeitsdaten als Sozialindikatoren?

Ich moechte diese Anfrage an alle in der Medizingeschichte oder historischen Demographie Bewanderten richten. Im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universitaet Halle- Wittenberg (Institut fuer Soziologie) ueber sozialoekologische Aspekte der Kriminalitaet im Deutschen Reich am Ende des 19. Jahrhunderts sollen verschiedene Sozialindikatoren in ihrer Bedeutung fuer die lokale und regionale Verteilung von Kriminalitaetsraten untersucht werden. Methodische Basis des Projekts ist eine multivariate statistische Analyse der Kriminalitaetsraten auf der Ebene aller ca. 1.000 Kreise und kreisfreien Staedte des Deutsches Reiches.

Als Indikatoren fuer "Armut" oder "soziale Benachteiligung" finden dabei auch verschiedene Sterblichkeits- und Krankheitsdaten Verwendung. Ueber die Frage, inwieweit z.B. Saeuglingssterblichkeit als ein solcher Sozialindikator geeignet ist, gibt es eine lange und umfangreiche Diskussion, die ich hier unbeachtet lassen moechte. Meine Frage zielt vielmehr auf die konkrete Einschaetzung der Aussagekraft und Zuverlaessigkeit der preussischen Statistik "Die Sterblichkeit nach Todesursachen und Altersklassen der Gestorbenen im preussischen Staate" (1884ff.), und hier speziell der Todesursache "Diarrhoe der Kinder". Der  Vorteil dieser Statistik gegenueber der Saeugingssterblichkeit allgemein koennte darin liegen, dass hier staerker die von sozialen Faktoren mitbeeinflusste Komponente der post-neonatalen Mortalitaet erfasst wird.

Pretests haben gezeigt, dass diese Todesursache sowohl positiv mit dem Faktor Urbanitaet als auch mit der Jugendkriminalitaetsrate korreliert.

Die Frage an die historische Demographie und die Medizingeschichte waere, ob man hohe Werte in dieser Statistik tatsaechlich als Ausdruck schlechter sanitaerer Bedingungen, mangelnder Hygiene, eines gering ausgepraegten Stillverhaltens etc. ansehen kann, oder ob z.B. unterschiedliche Routinen von Aerzten in Stadt und Land beim Ausfuellen der Totenscheine diese Daten wertlos machen. Fuer die Mitteilung von Erfahrungen, Einschaetzungen und Hinweisen bin ich sehr dankbar.

Dietrich Oberwittler
Kriminologische Forschungsgruppe
Max-Planck-Institut fuer auslaendisches
und internationales Strafrecht
Guenterstalstr. 73
D - 79100 Freiburg
Tel. +761-7081-250
Fax. +761-7081-294


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Dietrich Oberwittler <D.Oberwittler@iuscrim.mpg.de>
Subject: Anfrage "Sterblichkeitsdaten als Sozialindikatoren?"
Date: 08.03.1998


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