"Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Bundeslaendern"

Zum Thesenpapier Fremdenfeindlichkeit

Elfie Rembold hat in ihrem Kommentar zu meinen Anmerkungen zum Thesenpapier "Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Bundeslaendern" meine grundsaetzlichen Bedenken gegenueber der Suche nach Ursachen fuer Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland in der Vergangenheit kritisiert und versucht, deutlich zu machen, warum ihrer Auffassung nach Fremdenfeindlichkeit im Osten nicht nur eine andere Quantitaet, sondern auch eine andere Qualitaet gegenueber der in den alten Bundeslaendern zu beobachtenden aufweist. Da ich einerseits meine Kritik an der Ursachensuche in der Vergangenheit in Bezug auf Fremdenfeindlichkeit in meinen Anmerkungen nur angedeutet hatte, der Kommentar von Elfie Remboldt andererseits aber genau in eine Richtung zielt, die m.E. einen untauglichen Zugang zum Umgang mit dem Problem der Fremdenfeindlichkeit darstellt, moechte ich meine Kritik an der "Historisierung" der Ursachen von Fremdenfindlichkeit deutlicher ausfuehren. Remboldt unterlaesst genau das, was Matthias Judt in seiner Reaktion auf das Thesenpapier gefordert hat: "In der Behandlung von Rechtsextremismus in Deutschland haben wir m.E. zu unterscheiden zwischen dem Problem an sich ... und dem hoechst unterschiedlichen Ausmass und der Brutalitaet der Vorfaelle" zwischen Ost und West. Geschehe dies nicht, so Judt, laufe man Gefahr, "das Ostniveau an Fremdenfeindlichkeit (lediglich) auf das westdeutsche Niveau zu verringern. Das waere zwar ein bedeutender Fortschritt, beseitigte indes nicht das Problem im Prinzip." Dies habe auch ich (zugegebenermassen in einer nicht ganz eindeutig formulierten Fussnote) versucht zu betonen.

Wenn man, wie Remboldt, von einer (unbestritten) quantitativ hoeheren Fremdenfeindlichkeit im Osten auch auf eine andere Qualitaet als im Westen schliessen will, muss man dafuer schluessige Argumente beibringen. Dies gelingt Remboldt jedoch nicht. Der Unterschied, ob Fremdenfeindlichkeit akut wird (um es zu vereinfachen: im Osten) oder nicht (im Westen), liegt eben nicht in einer qualitativ anderen Einstellung zum Fremden begruendet, sondern in der Art und Weise der Auseinandersetzung mit dem (scheinbaren) Problem. Die von Judt benannte "Entbrutalisierung" der westdeutschen Gesellschaft schafft praktisch einen zivilgesellschaftlichen "Daempfer", der davon abhaelt, gewalttaetig gegen Fremde vorzugehen. Diesen "Daempfer" gibt es im Osten bisher kaum - und das hat durchaus seine Ursachen in der DDR (bspw. die von Behrends, Kuck und Poutrus benannten Homogenisierungsbemuehungen in Bezug auf die DDR-Gesellschaft von Seiten der Partei- und Staatsfuehrung). Nur laesst sich daraus nicht schliessen, dass Fremdenfeindlichkeit im Osten von anderer Qualitaet als im Westen waere. Schaut man sich bspw. die von Rembold erwaehnten Argumentationsmuster, die der Fremdenfeindlichkeit zu Grunde liegen, an, finden sich kaum Unterschiede; es ist in Ost- wie Westdeutschland moeglich, "sich oeffentlich ungeniert ueber die "Minderwertigkeit" anderer zu aeussern". ( vgl. bspw. die Aeusserung eines (west-)bundesdeutschen Spitzenpolitikers "Wir brauchen mehr Auslaender, die uns nuetzen und weniger, die uns ausnuetzen." Wenn ich mich richtig erinnere, stammt diese Sentenz von Edmund Stoiber, ich kann dies momentan aber nicht nachpruefen.) Ein qualitativer Unterschied ist demnach m.E. nicht auszumachen. Wenn es also um die Frage von "soziale(n) und kulturelle(n) Wertemuster (geht), die bestimmte Handlungen erlauben, andere hingegen nicht", liegt der Unterschied zwischen Ost und West nicht in der Frage, ob Fremdenfeindlichkeit zugelassen wird oder nicht, sondern ob Gewalt als Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit zugelassen ist.

Dies fuehrt zurueck zu der Frage der Ursachen von Fremdenfeindlichkeit. Wenn Fremdenfeindlichkeit an sich in Ost- wie Westdeutschland ein zu konstatierendes Phaenomen darstellt, liegt es auf der Hand, dass die Ursachen dafuer kaum in der DDR zu finden sind. Vielmehr liegen sie m.E. (und wie Michael G. Esch hier schon ausgefuehrt hat) eher in der Art und Weise der oekonomischen und gesellschaftlichen Umbrueche in den neuen Bundeslaendern einerseits und der diskriminierenden bundesdeutschen Politik Fremden gegenueber andererseits begruendet. Zu dem ersten Punkt hat sich Esch ausfuehrlich geaeussert. Zum zweiten moechte ich eine weitere Kritik an Rembold anschliessen. Rembold behauptet, "Fremden distanziert gegenueber zu treten oder gar mit einer Portion Misstrauen zu beaeugen" sei eine normale soziale Umgangsform, die uns helfe, "uns in einer komplexen Umwelt zurechtzufinden". Diese Anthropologisierung von Misstrauen gegenueber Fremden halte ich fuer falsch. Fremden gegenueber misstrauisch zu sein, ist mitnichten die einzig "normale" Reaktion, stattdessen sind Neugier (wie auch Judt betont), Anregung oder Erwartung genauso vorstellbare Reaktionen auf Fremde.Die misstrauische und abwehrende Reaktion auf Fremde ist nicht ohne den politischen Diskurs der Ablehnung von Fremden verstaendlich. Wenn in der Politik oeffentlich ueber Fremde gesprochen wird, geschieht dies in der uebergrossen Anzahl der Faelle im negativen Sinne, Stichworte wie "Auslaenderflut" oder "-welle", "Das Boot ist voll", "Ueberforderung der Einheimischen", "Missbrauch des Asylrechts" etc.sind nur wenige Beispiele. Somit wird ein oeffentlicher Diskurs erzeugt, der die individuelle Wahrnehmung von Fremden vorstrukturiert und durch seine staendige Charakterisierung von Fremden als "problematisch" diese kaum noch anders als als "misstrauisch" zulaesst. Dies stellt nun aber keine anthropologische Gewissheit dar, vielmehr wird Ausgrenzung von Fremden so als gesellschaftliches Problem wahrnehmbar. (1)

Ansetzen muss die Auseinandersetzung mit Fremdenfeindlichkeit, will sie sich mit dem Problem auseinandersetzen und nicht nur versuchen, die Symptome zu "humanisieren", an den genannten beiden Punkten. Um es polemisch zuzuspitzen: Gebe es heute einerseits keine oekonomischen und sozialen Probleme im Osten und andererseits keinen fremdenfeindlichen oeffentlichen Diskurs (der, um es noch einmal zu sagen, aus dem Westen in den Osten exportiert wurde), muesste uns der Umgang mit Fremden in der DDR (in Bezug auf ein aktuelles Problem; fuer den Historiker kann er natuerlich auch an sich von Interesse sein) kaum interessieren, da er fuer die Gegenwart keine Bedeutung haette. Die Suche nach Ursachen fuer ein aktuelles Problem in der Vergangenheit fuehrt vor allem dazu, dass die Loesung des Problems vor sich her geschoben wird. Die vergangenen Ursachen sind nicht mehr beeinflussbar, wohl aber die gegenwaertigen, hier muss demnach angesetzt werden. Der Beitrag von Wissenschaftlern kann dabei bspw. sein, dem fremdenfeindlichen Diskurs oeffentlich zu begegnen. Dies betrifft sowohl die Auseinandersetzung mit dem Umgang und der Argumentation staatlicher Instanzen gegenueber Auslaendern als auch die Auseinandersetzung mit dem "alltaeglichen Rassismus", dem wir alle und viel zu haeufig begegnen. Eine abschliessende Bemerkung, um nicht missverstanden zu werden: Ich halte die Staerkung zivilgesellschaftlicher Strukturen und Verhaltensweisen in den neuen Bundeslaendern mitnichten fuer eine ueberfluessige oder vernachlaessigbare Aufgabe (im uebrigen bin ich in diesem Bereich selbst taetig). Natuerlich ist es "besser" wenn sich Fremdenfeindlichkeit nicht gewalttaetig aeussert, sondern "nur" ueber den Stammtischen (die auch in buergerlich-intellektuellen Kreisen zu Hauf stehen) kreist. Aber man muss sich im klaren darueber sein, dass somit ein Ausgrenzungsdiskurs gegenueber Fremden aufrecht erhalten wird, der die Grundlage fuer das Ausbrechen von Gewalt darstellt. Die Auseinandersetzung mit den Symptomen kann die Auseinandersetzung mit dem Problem nicht ersetzen.

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(1) Vgl. Osterkamp, Ute, 1996: Das Boot ist voll! Typische Selbstrechtfertigungs- und Abwehrfiguren in der Asyldebatte. In: dies.: Rassismus als Selbstentmaechtigung. Berlin, Hamburg (Argument), S. 167-198 sowie Holzkamp, Klaus, 1996: Antirassistische Erziehung als Änderung rassistischer "Einstellungen"? Funktionskritik und subjektwissenschaftliche Alternativen. In: ders.: Schriften. Bd. I, Berlin, Hamburg (Argument), S. 279- 299


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Subject: Re: Thesenpapier "Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Bundeslaendern"
Date: 21.08.2000


       

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