"Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Bundeslaendern"

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Ein paar Bemerkungen zu Tilmann Schoeders Anmerkungen, dass "man nicht von Ursachen (..), sondern von Einfluessen auf die Art und Weise der Aeusserung von Fremdenfeindlichkeit (sprechen sollte)" und dass es seines Erachtens in Ostdeutschland nicht eine hoehere Fremdenfeindlichkeit als im Westen gaebe; diese wuerde sich nur anders aeussern.

(1) Sich des analytischen Instrumentariums der Sozialwissenschaften zugunsten einer rein diskursiven Methode einer vereinfacht verstandenen Kulturwissenschaft zu entledigen, halte ich fuer fahrlaessig. Wenn der Fremde verbal zum Feinde gemacht und darueber auch (wenngleich stillschweigender) Konsens hergestellt werden kann, ist der Schritt zu gewalttaetigen Handlungen nicht mehr weit. Deshalb muss die Frage erlaubt sein, warum es moeglich ist, sich oeffentlich ungeniert ueber die "Minderwertigkeit" anderer zu aeussern. Welches soziale Feld erlaubt und ermoeglicht solches Verhalten? Hier geht es um soziale und kulturelle Wertemuster, die bestimmte Handlungen erlauben, andere hingegen nicht. Insofern ist es etwas kursichtig zu argumentieren, dass die Suche nach den Ursachen der Fremdenfeindlichkeit nur in der Gegenwart ansetzen sollte. Welche sprachlichen Formen fuer die Qualifizierung des Fremden als Feind benutzt werden, ist keine Frage der Beliebigkeit, sondern eine nach historischen Traditionen. Insofern ist die Frage nach den historischen Grundlagen der Fremdenfeindlichkeit keineswegs von der soziologischen Analyse der Gegenwart zu trennen.

(2) Wenn sich Fremdenfeindlichkeit im Osten derart anders aeussert, dass Uebergriffe mit toedlichen Folgen quantitativ hoeher liegen als im Westen, dann ist anzunehmen, dass die dieser Fremdenfeindlichkeit zugrundeliegenden Werte- und Handlungsmuster von anderer Qualitaet sind als jene im Westen. Es geht deshalb nicht darum, ob Fremdenfeindlichkeit "hoeher" oder "niedriger" ist, sondern darum, ob diese akut wird oder gehemmt bleibt. Fremden distanziert gegenueber zu treten oder gar mit einer Portion Misstrauen zu beaeugen, ist keineswegs fremdenfeindlich, sondern eine soziale Umgangsform, nach der Bekanntes und Vertrautes vom Fremden und evtl. Feindlichen geschieden wird; ein Vorgang, der uns ermoeglicht, uns in einer komplexen Umwelt zurechtzufinden. Problematisch wird dieser, wenn unter der Praemisse der Gleichheit, die Differenz nicht geduldet und der Fremde damit entweder zum outsider, zum Feind, wird oder zum insider, zum Freund, indem er sich anpasst und ein Dazwischen ausgeschlossen wird.

Wo es keine Kritik gibt, wo ein Biermann ausgebuergert und ein Havemann unter Hausarrest gesetzt, aber kein Aysl gewaehrt werden kann, da bedarf es nicht viel, um zum Feind zu werden. Deshalb, so behaupte ich, ist die im Osten auftretende Fremdenfeindlichkeit in ihren historisch- soziologischen Komplexitaet eine qualitativ, da von einer anderen Werteskala bestimmt, andere als in Westen.

Diesen theoretischen Ueberlegungen seien abschliessend die realsozialistischen Erfahrungen von Dagmar Henke zur Seite gestellt: "Auslaender sind alle, die nicht Buerger der DDR sind, also dieses ideologischen Gebildes. Wenn man bedenkt, dass sich seit den 60er Jahren Menschen aus fast 126 Nationen dieser Erde in der ehemaligen DDR aufgehalten haben und das in der Oeffentlichkeit oder im Bewusstsein der Buerger auch nicht nur eine einzige Spur hinterlassen hat, dann wird klar, welche fatalen Folgen solche ideologischen Abgrenzungen gezeitigt haben." ("Fremde Naehe - Nahe Fremde. Ein Beitrag zur Auslaenderarbeit der Kirchen in der ehemaligen DDR", in: Theologische Zeitschrift 9.1 (1992), S. 119- 132; 121)

Elfie Rembold

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Subject: Re: Thesenpapier "Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Bundeslaendern"
Date: 18.08.2000


       

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