"Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Bundeslaendern"

Zur Diskussion um das Thesenpapier "Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Bundeslaendern"

Eingangs sei die Bemerkung gestattet, dass die Initiative zu einer sowohl historisch als auch politisch ausgerichteten Debatte ueber Ursachen (und in einem weiteren Schritt womoeglich auch die Folgen) der zunehmenden rechtsradikalen Ueberfaelle sicherlich in jedem Falle zu begruessen ist. Die Anmerkung, dass die selbstgewaehlte Beschraenkung auf die Verhaeltnisse in den fuenf neuen Laendern letztendlich fuer eine Betrachtung des Gesamtproblems, das eben tatsaechlich ein gesamtdeutsches Problem ist, zu kurz greift, ist bereits von Matthias Judt gemacht worden. Meiner Ansicht nach sind jedoch weitere Aspekte sowohl des Thesenpapiers als auch der beiden bislang eingegangenen Diskussionsbeitraege zu kritisieren.

1. Die Nachforschungen und Ueberlegungen des ZZF beschraenkt sich auf Ursachen, die sich Struktur und Kultur des "realen Sozialismus" ableiten lassen. Nun ist es sicherlich richtig, dass der verordnete Antifaschismus in der DDR ebenso wie die weitgehende Segregation nicht deutscher Arbeitnehmer und die mangelnde Uebung im Umgang mit Anderem und Anderen einem nicht-nationalistischen und nicht-rassistischen Umgang mit dem "Fremden" sicherlich nicht zutraeglich war. Dies alles erklaert jedoch allenfalls, warum eine breite Akzeptanz fuer rassistische Parolen und rassistisches Vorgehen in weiten Teilen der nicht aktiv rechtsradikalen Bevoelkerung vorhanden ist, nicht, warum die rechtsradikale "Organisierung" (bei aller Problematik angesichts der in der Regel bewusst informell gestalteten Zusammenschluesse sei der Begriff hier zugelassen) und die Etablierung einer NS-Jugendkultur unmittelbar nach der "Wende" so rasche Fortschritte machen konnte. Unter anderem wird hier meines Erachtens vergessen, dass zwar das rechtsradikale Potential im Osten noch wesentlich hoeher ist als im Westen, dass aber wesentliche Ansaetze zur Organisierung und zur Gestalt rechtsradikalen Vorgehens aus dem Westen stammten - was nicht nur das Vorbild der aus Grossbritannien importierte (und in ihren Anfaengen Ende der sechziger Jahre nicht eindeutig rechtsradikalen) Skinheads angeht, sondern auch die Gruendung rechtsradikaler Parteien, Organisationen und Kameradschaften. Das gleiche gilt im uebrigen auch fuer die Theoriebildung, die grossenteils nach wie vor in der hier wesentlich traditionsreicheren westlichen Naziszene erfolgt, sowie fuer die "musikalische" Produktion, die ein wesentliches Mittel fuer Rekrutierung und Selbstverstaendnis darstellt. Anders ausgedrueckt: Die Neonazis wurden, wie viele weitere eher unsympathische Eigenheiten dieses unseres Landes, nach Osten exportiert, wo sie allerdings auf - im Thesenpapier sicherlich weitgehend zutreffend, wenn auch nicht vollstaendig beschriebene - Verhaeltnisse trafen, die zu ihrer seit 1991 andauernden Bluete gefuehrt haben.

2. Andreas Hillebrandt hat (wie auch die Autoren des Thesenpapiers sowie Matthias Judt) angedeutet, dass gewisse - insbesondere ökonomische - Begleitumstaende des Anschlusses der DDR die steigendeoeBereitschaft, soziale Missstaende, Desorientierung und Verlust der eigenen Wuerde mit "den Auslaendern", Schwulen, Lesben, Obdachlosen, Behinderten, Linken usw. zu identifizieren, mindestens mitverursacht haben. Diese Andeutungen koennen meines Erachtens nicht ausdruecklich genug ausgesprochen werden: Zum einen verstand sich der Anschluss der DDR als Wiederherstellung eines 1945 rechtswidrig aufgeteilten Nationalstaates (auf diesen Begriff wird noch naeher einzugehen sein). Zum anderen diente er - neben aussen- und innenpolitische Geltungsanspruechen - der Erweiterung von Absatzmaerkten und oekonomischen Verwertungsmoeglichkeiten. Freilich irrt Andreas Hillebrandt, wenn er den "intakten Kapitalismus" der "sozialen Marktwirtschaft" gegenueberstellt: Letztere ist letztlich nichts weiter als ein sozial abgefederter, organisierter Kapitalismus, und der wurde nun durchaus in der DDR eingefuehrt. Tatsaechlich laesst sich sogar die These aufstellen, dass neben dem politischen Legitimationszuwachs des westlichen Systems, das sich seit dem Niedergang des "realen Sozialismus" als alternativloses gesellschaftliches Ordnungsmodell definieren darf, die halbkolonialistische Verwertung der SED-Hinterlassenschaften mit dazu beigetragen hat, im Westen einen Aufschwung herbeizufuehren, der den zwischen 1968 und 1989 mehrfach wenn auch meist folgenlos in Frage gestellten Alleinseligmachungsanspruch des Westens auf lange Sicht durchgesetzt und zu fast allgemeiner Akzeptanz gefuehrt hat. Hinzu kommt aber ein weiterer Aspekt, der in der bisherigen Diskussion selten benannt wird: Die Aufloesung der DDR - auf deren genaue Genese aus der Reformbewegung heraus hier nicht eingegangen werden kann - ging einher mit einer vollstaendigen Aufloesung aller bisher dort geltenden Werte und Sicherheiten. Dies trifft selbst dann zu, wenn wir der These des ZZF und Matthias Judts folgen, dass es eine durchgaengige unueberbrueckbare Kluft zwischen Herrschaft und Gesellschaft in der DDR gegeben habe. (Fuer Polen, zumindest in den achtziger Jahren, ist eine solche Kluft nachweisbar und angesichts der Revolten und des Widerstandes, der dort tatsaechlich in weiten Kreisen der Bevoelkerung verankert war, nachvollziehbar, fuer die DDR ist mir derlei hingegen neu.) Nun ist bekannt, dass Umbruchsituationen, zumal wenn sie (kulturell und ideologisch) so umfassend sind wie diese, haeufig zu Gewaltexzessen fuehren, zumal, wenn kein neues, umfassendes soziales, politisches, kulturelles und ethisches Ordnungsmodell an die Stelle des alten tritt. Letzteres funktioniert sicherlich auch nur dann, wenn es bereits zuvor in weiten Kreisen der Bevoelkerung ausreichend stark verankert ist (In diesem Zusammenhang waere sicherlich interessant, zu untersuchen, warum das Ende des "realen Sozialismus" zwar auch in der Tschechoslowakei und Polen zur Erstarkung nationalistischer und mitunter auch xenophober Organisierung gefuehrt hat, nicht aber zu solchen rassistischen Exzessen, wie sie seit 1991 zum deutschen Alltag gehoeren). Aber nicht nur bestand ein solches Ordnungsmodell allenfalls in den helleren Koepfen der Leipziger Rebellinnen und Rebellen, mit dem Anschluss folgte diesen - durch den Anschluss gescheiterten - Ueberlegungen auch kein alternatives Modell, das in irgendeiner Weise in der Lage gewesen waere, die komplette gesellschaftliche Desorganisation abzumildern oder gar aufzuhalten. In diesem Zusammenhang verwundert mich persoenlich der Hinweis Matthias Judts auf die vielbeschworene "Zivilgesellschaft". Tatsaechlich hat die (west-) deutsche Politik fast in ihrer Gesamtheit in den letzten fuenfzehn Jahren die wachsenden sozialen und oekonomischen Probleme mit der Zuwanderung aus dem Ausland identifiziert. Die sattsam bekannten, jeweils im Westen erdachten Parolen und Massnahmen sind - in Auswahl - "Das Boot ist voll", Abschaffung des Asylsrechts fuer Fluechtlinge, Schengener Abkommen, "Festung Europa", Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsangehoerigkeit, "Deutschland muss in Kreuzberg wieder sichtbar werden" und, erbaermlich aber wirksam, "Kinder statt Inder". Tatsaechlich wurde bereits vor 1989 im Westen ein oeffentlicher Diskurs etabliert, der die Bewaeltigung sozialer Probleme nicht ueber eine grundsaetzliche sozial- und wirtschaftspolitische Umkehr, sondern ueber eine Ableitung auf das Feindbild "Auslaender" und "(Schein-) Asylanten" hoffaehig gemacht hat. Es ist letzten Endes diese Ambivalenz, um nicht zu sagen Bigotterie, die die "Zivilgesellschaft" unfaehig macht, mit dem Problem des wachsenden Rechtsextremismus umzugehen - zumal dieser augenblicklich in erster Linie aus aussenpolitischen Ruecksichten als Makel empfunden wird, naemlich als Problem fuer die neue deutsche Respektabilitaet und Weltgeltung und die Einbindung in internationale oekonomische Verwertungsstrategien ("Standortnachteil").

3. Matthias Judt trifft eine - fuer mich nicht voellig nachvollziehbare Unterscheidung zwischen "gutem" Patriotismus und "schlechtem" Nationalismus. Hierzu ist mehrerlei anzumerken: Offensichtlich identifiziert Judt den "schlechten" Nationalismus mit einer ethnischen Definition von Nation. Diese ist aber gar nicht selbstverstaendlich, sondern, wie wie wissen, ein zunaechst deutscher Spezialfall. Sowohl die franzoesische als auch die amerikanische Nation verstehen sich voellig anders: als Vertreterinnen einer bestimmten Auffassung von Gesellschaft, wobei bei den USA noch hinzukommt, dass diese kaum umhinkoennen, als sich als Gesellschaft von Einwanderern zu verstehen - von der im uebrigen die nordamerikanischen Indianer, aber auch mexikanische und puertorikanische Zuwanderer immer noch weitgehend ausgeschlossen sind. Im deutschen Fall funktionierte die Forderung nach und schliesslich die Einrichtung eines "modernen" Nationalstaates im Jahre 1871 aber als politischer Zusammenschluss einer als ethnisch und kulturell verstandenen Gemeinschaft, was freilich gleichzeitig eine Segregation anderer Ethnien nahelegte. Das Problem endet hier aber nicht, denn Segregation ist ein Prinzip des Nationalstaates insgesamt (Siehe dazu Gerard Noiriel, Le creuset francais. Histoire de l'immigration XIXe-XXe siecle, Paris 1988, S. 69-124), unterschiedlich sind lediglich die Kriterien, nach denen eine Abgrenzung und Ausgrenzung vorgenommen wird sowie die Chancen, die den nicht Zugehoerigen offenstehen, den Kriterien, die fuer eine Aufnahme in die Nation erforderlich sind, gerecht zu werden. Im Falle ethnisch verfasster Gemeinschaften im modernen Sinne sind diese im Prinzip gleich null, aber auch in den anderen Nationalstaaten lassen diese sich - Frankreich und die USA bieten hierfuer vielfaeltige Beispiele - an jeweilige politische Rahmenbedingungen und Zielvorgaben anpassen. Eine naturalisierte - oder in den USA geborene - Asiatin, die mit einem japanischen Auto und duemmlichem Aufkleber durch die Gegend faehrt, ist daher etwas voellig anderes als als ein naturalisierter Tuerke in Deutschland mit entsprechenden Merkmalen: Er waere im Prinzip gar nicht vorstellbar. Waere, denn ich kenne persoenlich einen Fall, der mich vor einigen Jahren stark beschaeftigt hat: Ein ehemaliger Schulfreund, dessen Vater aus Ghana stammte - und der daher als Nichtdeutscher im ethnischen Sinne jederzeit identifizierbar war - wechselte (vor 1989!) nach einigen Monaten des Aufenthalts in der linksalternativen Szene zu nationalrevolutionaeren Skinhead-Kreise und trug - wie diese - den Aufnaeher "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein" - was letzten Endes kaum etwas anderes war als ein Versuch, den rassistischen Zumutungen, denen er als schwarzer Deutscher fast taeglich ausgesetzt war, sozusagen in der Offensive auszuweichen.

4. Ich bin davon ueberzeugt, dass jede Diskussion um Xenophobie und rassistische Gewalt, die diejenigen der Ursachen, die in der Struktur und Kultur unserer westlichen Gesellschaft(en)liegen, ausser Acht laesst, nicht in der Lage sein wird, das Anwachsen der rechtsradikalen Organisierung und Gewalttaten zu erklaeren, geschweige denn, ihnen zu begegnen. Dies gilt insbesondere fuer Verbotsforderungen und Forderungen nach haerterem Vorgehen des Staates gegen Uebergriffe. Dies liegt nicht allein daran, dass diskriminierende Praktiken gegenueber Schwarzafrikanern und Obdachlosen auch im Westen (beispielsweise in Duesseldorf, wo ich derlei aus eigener Anschauung kenne) laengst akzeptierter Bestandteil der staedtischen Politik und des polizeilichen Vorgehens sind, sondern vor allem, dass Ausgrenzung als Ordnungsprinzip nationalstaatlichen Organismen (die wohl am klarsten Eric Hobsbawm als bedauerliche, aber zaehlebige Fehlentwicklung erkannt hat) konstitutiv ist; sie ist notwendig darauf angewiesen, alle diejenigen auszugrenzen, deren Existenz oder Zuzug dn Status ihrer akkreditierten Mitglieder in Gefahr bringt oder in Frage stellt. Es sei nur daran erinnert, dass die von Judt beschworene "Zivilgesellschaft" in Schwaben keine Lehrerin abkzeptieren konnte, die waehrend des Unterrichts ein Kopftuch traegt. Es ist in diesem Zusammenhang nicht ohne Bedeutung, dass bis 1989 eine Kritik der deutschen Politik gegenueber Einwanderung und Eingewanderten, insbesondere an der Abschottung der Grenzen, der Abschaffung des Asylrechts und der Abschiebepraxis, vor allem von linken Organisationen (sowie gewissen christlichen Kreisen) geuebt wurde. Bei der Linken wurde diese Kritik immer gleichzeitig mit einer Kritik an den gesellschaftlichen Verhaeltnissen insgesamt vorgebracht. Seit 1989 aber hat sich das Klima des gesellschaftlichen Diskurses gewandelt, linke oder links orientierte Ideen und Vorschlaege (auch ausserhalb des Marxismus leninistischer Praegung) scheinen kaum auf gesellschaftliche Akzeptanz zu stossen oder werden - wenn sie sich in Wahlerfolgen der PDS, ueber deren Charakterisierung als linke Partei sich angesichts ihres Vorgehens in manchen Regionen der fuenf neuen Laender trefflich streiten liesse, aeussern - als rueckschrittlich denunziert. All dies waere noch nicht weiter bedauerlich. Diese Entwicklung bedeutete aber auch, dass der westliche organisierte Kapitalismus eine so grosse gesellschaftliche Akzeptanz erreicht hat, dass allein schon der Gedanke an eine Diskussion ueber grundsaetzlich alternative gesellschaftliche Ordnungsmodelle (die Diskussion um die "offene Gesellschaft" erfuellt diese Funktion nicht, da sie meistenteils lediglich darauf abzielt, die amerikanische Variante der Kapitalverwertung zu propagieren und die Verteilung der Macht ueber Produktionsmittel und Distributionswege ausser Acht laesst) meist auf amuesiertes Kopfschuetteln stoesst. Genau dies raecht sich jetzt.

Dr. Michael G. Esch
Lehrbeauftragter an der Heinrich-Heine-Universitaet Duesseldorf
Abt. fuer Osteuropaeische Geschichte


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Michael G. Esch" <esch@platon.phil-fak.uni-duesseldorf.de>
Subject: Re: Thesenpapier "Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Bundeslaendern"
Date: 18.08.2000


       

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