"Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Bundeslaendern"

Anmerkung zum Thesenpapier von Jan C. Behrends, Dennis Kuck und Patrice G. Poutrus "Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Bundeslaendern"

Abgesehen von der Frage, ob eine Suche nach den Ursachen von Fremdenfeindlichkeit in der Vergangenheit ansetzen sollte, oder nicht doch besser in der Gegenwart (denn nur dann kann an den Ursachen auch etwas veraendert, im anderen Falle koennen sie nur konstatiert und beklagt werden)(1) scheint mir eine der Thesen der Autoren zumindest zweifelhaft. In ihrer zweiten These vertreten die Autoren die Auffassung, in der DDR habe es "keine oeffentliche Entwertung nationalistischer Weltanschauungen" gegeben, stattdessen sei "die deutsche Nation ... zentraler mentaler Bezugspunkt fuer Regime und Bevoelkerung" geblieben. Diese Aussage scheint mir sowohl was das "Regime", als auch die "Bevoelkerung" betrifft, uebersimplifiziert zu sein.

Sicher hat die DDR-Fuehrung mit ihrem Lavieren zwischen dem Versuch, auch in der deutschen Geschichte bis 1945 Legitimationsgrundlagen zu finden einerseits und der Betonung des grundsaetzlich anderen Charakters der "sozialistischen Gesellschaft" gegenueber der Vergangenheit andererseits sich immer auch mit der Frage der Nation auseinandersetzen muessen. Dies scheint mir aber 1974 mit der Aenderung des Artikel 1 der Verfassung der DDR entschieden worden zu sein. Die DDR-Fuehrung hat sich hier von der Vorstellung "ein sozialistischer Staat deutscher Nation" zu sein zugunsten der Formulierung "Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern." verabschiedet. Von da an kann an einem Festhalten an der Vorstellung einer deutschen Nation auf Seiten der Partei- und Staatsfuehrung keine Rede mehr sein. Stattdessen wurden dahingehende Ansprueche, die auf der westdeutschen Seite geaeussert wurden, stets vehement zurueckgewiesen, mit der Begruendung, dass in der DDR eine neue, sozialistische, Nation herangewachsen sei, die mit der "alten" deutschen und somit auch mit der "westdeutschen" nichts mehr gemein hatte. Fuer die spaeten 70er und die 80er Jahre muss der von den Autoren vertretenen Auffassung des Bezug der DDR-Fuehrung auf die Vorstellung einer "gesamtdeutschen Nation" klar widersprochen werden.(2)

Auf Seiten der Bevoelkerung kann m.E. genauso wenig von einem Festhalten an der Vorstellung einer nationalen Einheit, die sich aus der deutschen Geschichte speist, die 40jaehrige Trennung ueberdauert und dann im Dezember 1989 als Ruf "Wir sind ein Volk" wieder offen artikuliert wird, gesprochen werden. Hier werden voellig verschiedene Phaenomene unter die Formel "Nationalbewusstsein" der Bevoelkerung subsumiert, die bei genauerer Betrachtung sehr unterschiedliche Ursachen hatten und die, eben ausser die Moeglichkeit, unter diesen Begriff subsumiert werden zu koennen, kaum etwas verbindet. So hat im Laufe der Entwicklung der DDR die Bundesrepublik zwar fuer die Menschen immer eine Rolle als Bezugspunkt gespielt, dass dies allerdings deshalb geschah, weil die Vorstellung einer nationalen Einheit in der Bevoelkerung der DDR vorherrschend war, moechte ich bezweifeln. Die These der Autoren, "der Begriff "deutsche Nation"" sei "fuer viele DDR-Buerger ein positiver Identifikations- und Orientierungspunkt - etwas, worauf man stolz war" gewesen, halte ich fuer nicht haltbar. Die Bundesrepublik war fuer die Menschen in der DDR deshalb attraktiv, weil sie Werte symbolisierte, die in der DDR keine Rolle spielten - Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Reisefreiheit, Wohlstand etc. - nicht, weil die DDR-Buerger an der nationalen Einheit festgehalten haetten.(3) Beleg dafuer duerfte nicht zuletzt das voellige Fehlen von Forderungen nach deutscher Einheit vor dem 9. November 1989 sein. Und auch der Ruf nach Wiedervereinigung nach der Maueroeffnung speiste sich vorrangig wohl eher aus der Erwartung, die durch die Bundesrepublik verkoerperten Moeglichkeiten so schneller zu erlangen, und nicht aus der Sehnsucht nach nationaler Einheit an sich.(4)

Fuer wesentlich plausibler und interessanter, wenn man sich denn auf die Suche nach historischen Wurzeln der Fremdenfeindlichkeit begeben will, halte ich dafuer die dritte These der Autoren, in der sie die starken gesellschaftlichen Homogenisierungsbemuehungen in der DDR und die fehlende Bereitschaft, Konflikte innerhalb der Gesellschaft als "normal" anzusehen und diese offen (und zivilisiert) auszutragen, als eine moegliche Ursache der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland. Etwas hilflos wirkt allerdings die Frage, woher denn die "Handlungsmuster ... ,auf die sich die fremdenfeindlichen Akteure beziehen, um Ausgrenzung und Uebergriffe zu legitimieren" stammen (wobei mir unklar ist, wie Handlungsmuster, auf die man sich bezieht, eine Legitimation darstellen koennen). Die Legitimation fuer Ausgrenzung und Uebergriffe auf Fremde stammt naemlich kaum aus der Vergangenheit, sondern aus der Gegenwart, und auch kaum aus Ostdeutschland, sondern wird eher aus der Argumentation der etablierten Parteien (die man wohl immer noch eher als westdeutsch denn als gesamtdeutsch gepraegt bezeichnen muss) gegenueber in Deutschland lebenden Auslaendern herausgezogen.

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1 Vielleicht sollte man nicht von Ursachen sprechen, sondern von Einfluessen auf die Art und Weise der Aeusserung von Fremdenfeindlichkeit. M.E. gibt es in Ostdeutschland nicht eine hoehere Fremdenfeindlichkeit als im Westen, sie aussert sich nur anders (und leider brutaler).

2 Als Indikator kann vielleicht das "Lehrbuch Geschichte", Klasse 10 dienen (Ausgabe 1983, 4. Auflage), in dem der Begriff "Nation" in Bezug auf eine Gemeinsamkeit von DDR und Bundesrepublik nicht ein Mal vorkommt, dienen. In der Neufassung von 1989 (1. Auflage) wird er zwar genannt, allerdings als von den "revanchistischen Kraeften" in der Bundesrepublik eingesetzte Kampfformel, um die DDR "dem Machtbereich des Imperialismus der BRD" einzuverleiben.

3 Hinzu kommt, dass das Wissen um die Vorzuege der Bundesrepublik durch das Fernsehen und die fehlende Sprachbarriere praktisch jedem taeglich zugaenglich war.

4 Vgl. die sehr differenzierte Darstellung in Fulbrook, Mary, 1999: German National Identity after the Holocaust. Cambridge, Politiy Press; v.a. Kapitel 7 "Citizenship and Fatherland".


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Tilmann Schroeder" <tilsch@zedat.fu-berlin.de>
Subject: Anmerkung Thesenpapier Fremdenfeindlichkeit
Date: 17.08.2000


       

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