Reaktion zum Thesenpapier "Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Bundesländern" von Jan C. Behrends, Dennis Kuck und Patrick G. Poutrus

Die Debatte um das Erstarken rechtsextremistischer Gruppen und die Übergriffe auf in Deutschland lebende Ausländer, Asylbewerber oder Zuwanderer deutscher Abstammung aus Osteuropa läuft seit geraumer Zeit. Wer die Presseberichterstattung und auch die verschiedenen Ansätze in der Ursachenforschung der vergangenen Jahre verfolgt hat, dem wird deutlich aufgefallen sein, daß Vorfällen in den neuen Bundesländern schnell bundesweite Aufmerksamkeit zuteil wurde - solchen in den alten hingegen nicht - und in der Darlegung von Gründen vor allem solche Erklärungsmuster präsentiert wurden, die allein oder wenigstens doch überwiegend für Ostdeutschland Gültigkeit besitzen konnten - für die alten aber wiederum nicht. Der im Thesenpapier der drei Potsdamer Autoren erwähnte "Töpfchenstreit" war dabei nur der absurde Ausdruck des Bemühens, das Problem - abgesehen von wenig konkreten Verweisen auf die alten Länder - als ein ostdeutsches zu entsorgen. Gerade der Verweis auf die vorgeblich so lebensgestaltende Wirkung des kollektiven Stuhlgangserlebnisses in der DDR-Kinderkrippe hat aber m.E. in den neuen Bundesländern eine schon in DDR-Zeiten "erlernte" Reaktion revitalisiert: Das eigene Verhalten wird nicht notwendigerweise reflektiert, schon gar nicht, wenn die Aufforderung dazu von "außen" kommt. Die von "außen" waren in der DDR die von den Autoren genannten Akteure der staatssozialistischen Herrschaft, denen gegenüber Vorsicht zu walten war, denen eher stille Ablehnung und - seltener - auch widerständiges Verhalten entgegengebracht wurde. Die - so will ich sie nennen - Sabotagementalität, die sich als unklare Loyalität gegenüber den Herrschenden artikulierte, ist zum Beispiel von Landolf Scherzer in "Der Erste" beschrieben worden: Dem hier vorgestellten 1. Sekretär einer SED-Kreisleitung, selbst durchaus bemüht, für seinen Kreis etwas zu tun, wird von der Bevölkerung mit nach außen zur Schau gestellter Freundlichkeit begegnet, tatsächlich ist er aber völlig isoliert, scheint gar nicht Teil der "Kreis-Gesellschaft" zu sein. Wer wissen will, wie es den neuen, die als von "außen" kommend angesehen werden, ergeht, sei auf Landolf Scherzers zweites Portrait eines führenden Politikers in der Provinz verwiesen: "Der Zweite" beleuchtet die Tätigkeit des aus dem Westen stammenden, katholischen Landrates mit CDU-Ticket im (ex-)protestantischen Landkreis, in dem zuvor unser SED-Kreissekretär tätig war, der heute genauso behandelt wird wie der Vertreter der diktatorischen Staatsmacht früher.

Diese Einführung scheint vom eigentlichen, hier diskutierten Problem fortzuführen, tut es aber nicht. Gerade die ausländerfeindlichen Vorfälle der jüngsten Zeit in den alten Ländern haben das Problem der Fremdenfeindlichkeit dorthin zurückgeführt, wo es hingehört: auf den gesamtdeutschen Gabentisch. In der Behandlung von Rechtsextremismus in Deutschland haben wir m.E. zu unterscheiden zwischen dem Problem an sich - wo wir uns davor hüten sollten, für das eigene Herkunftsgebiet eher nach das Problem marginalisierenden Erklärungen zu suchen - und dem höchst unterschiedlichen Ausmaß und der Brutalität der Vorfälle, wo sich die Bürger in den neuen Bundesländern, in denen - gewichtet an der hier lebenden Bevölkerung - etwa viereinhalb Mal mehr Übergriffe geschehen als in den alten Bundesländern - sehr wohl den Vorwurf gefallen lassen müssen, zu wenig gegen den Rechtsextremismus zu tun.

Bereits im Frühjahr 1993 hat das Deutsche Historische Institut in Washington, DC, dem ich damals angehörte, eine eintägige Konferenz zum Problem der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland veranstaltet, mit der das Institut auf die damaligen Vorgänge u.a. in Rostock und Hoyerswerda (mit den von der lokalen Bevölkerung offen unterstützten Angriffen auf Asylbewerberheime) und in Solingen und Mölln (mit den Brandstiftungen gegen die Häuser langjährig in den beiden Städten wohnenden türkischen Familien, bei denen mehrere Menschen starben) reagierte. Einer der beiden Hauptredner war Henry Friedlander aus New York, den ich nicht weiter vorzustellen brauche. Dessen damalige Thesen möchte ich hier aber wiederholen, weil ich sie nach wie vor für richtig halte. Der Begriff "Fremdenfeindlichkeit" sei, so Friedlander, schon das richtige Wort in der Beschreibung der Vorgänge in Deutschland, ihn auf die Ausländerfeindlichkeit zu reduzieren, führe indes in die Irre. Tatsächlich hätten wir Deutschen ein grundsätzliches Problem, mit "Fremdem" an sich umzugehen. Statt Neugier, wenigstens doch Abwarten, herrsche Ängstlichkeit vor, die sich bei manchen als Empfinden von "Bedrohung" durch das Fremde artikuliere, auf die dann - nicht selten mit verbaler oder physischer Gewalt - "reagiert" werde. "Fremd" in diesem Sinne seien früher die Juden gewesen und heute seien es die Ausländer oder - wechselseitig austauschbar - die Ossis oder Wessis oder Behinderte (wie schon einmal in der Nazizeit) oder "Asoziale" (wie sie auch in der DDR genannt wurden). Vielleicht könnte ich im Angesicht der Debatte um die Verbesserung der rechtlichen Stellung homosexueller Partnerschaften (Stichwort: "importierte Lustknaben") auch das Verhalten gegenüber denen - um es salopp zu formulieren - von der "anderen Fakultät" als ein weiteres Beispiel für das gestörte Verhältnis zu Fremdem nennen.

Folgt man Friedlanders Thesen, kann man die tatsächlichen Erfolge der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft im Zurückdrängen der Fremdenfeindlichkeit dort geradezu pessimistisch interpretieren: Die seit Jahrzehnten erfolgende, alljährliche Invasion von Millionen Westdeutschen ins sommerliche Spanien oder Italien und die Tatsache, daß ungleich mehr Bürger ausländischer Herkunft in der alten Bundesrepublik lebten als in der DDR, hat das Problem der Aversionen gegenüber den/dem Fremden nicht beseitigt, sondern allein "Gewöhnungseffekte" erzeugt. Die tatsächliche Entmilitarisierung der westdeutschen Gesellschaft bewirkte hierbei auch eine Entbrutalisierung, weshalb Ausländerfeindlichkeit im Westen heute eher verbal im Luftraum über den Stammtischen artikuliert wird, während es im Osten schnell zur Anwendung physischer Gewalt kommt. Man sollte sich in diesem Zusammenhang auch davor hüten, Fremdenfeindlichkeit als ein Problem bestimmter, zum Beispiel einkommensschwacher Schichten zu begreifen: Meine Kinder besuchen in Berlin eine deutsch-englische Europaschule, es gibt auch ein deutsch-türkische, in die viele deutsche Eltern ihre Kinder hinschicken, weil diese Schule die einzige im Bezirk zu sein scheint, in der der Ausländeranteil "nur" höchstens 50 Prozent beträgt.

Behrends, Kuck und Poutrus gehen in ihrem Papier ganz berechtigt vor allem auf die Gründe der Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern ein, doch will ich anmerken, wie "unzufrieden" ich wäre, wenn wir durch Förderung zivilgesellschaftlichen Handelns, politische Bildungsarbeit und - wo offenkundig notwendig - repressive Maßnahmen zur Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols in vorgeblichen "national befreiten Zonen" der neuen Bundesländer allein erreichten, das Ostniveau an Fremdenfeindlichkeit auf das westdeutsche Niveau zu verringern. Das wäre zwar ein bedeutender Fortschritt, beseitigte indes nicht das Problem im Prinzip.

Dies bringt mich auf die Diskussion des Nationalismus, dem die drei Autoren in ihrem Papier breiten Raum schenken. Sie sprechen von "nationalen Legitimationsmustern", an die die SED-Herrschaft "ungeniert" angeknüpft habe, von nicht erfolgter "Entwertung nationaler Ideen in der DDR" und "latente[m] Nationalismus". Die allein negative Konnotation des Nationalismusbegriffes, die vielleicht auch daher kommt, daß wir Deutschen nicht so recht (positiven) Patriotismus und (negativen) Nationalismus unterscheiden können (wir sind eben ein später Nationalstaat, noch dazu einer, dessen staatliche Einheit im 19. Jahrhundert im niedergerungenen Frankreich verkündet wurde), wird von den Autoren wiederholt. Wir müssen uns nicht über eine vermeintliche "stille Unterstützung" der rechten Demagogen wundern, wenn wir ihnen so "ungeniert" das Nationenthema überlassen. Ich komme noch einmal auf die USA zurück. Eines Morgens auf dem Wege zum DHI fuhr ich einem Auto hinterher, auf dem der Sticker "I am proud to be American" prangte. Ich wunderte mich darüber, das sich der Aufkleber auf einem Mitsubishi befand - üblicherweise fand man die Sticker auf amerikanischen Autos, ergänzt durch solche wie "Buy American" oder "Proud Union Member". Irgendwann hielt das Auto an und es stieg eine Asiatin aus. Sie war offensichtlich stolz darauf, naturalisierte Amerikanerin geworden zu sein. Nehme ich das als Maßstab, dann kann ich sagen, daß wir noch einen langen Weg vor uns haben, bis bei uns ein eingebürgerter Türke an seinem französischen Renault den Sticker "Ich bin stolz, Deutscher zu sein" ankleben kann. Und das hat nicht nur damit zu tun, daß ihm dieser "Stolz" nicht zugebilligt werden würde, sondern auch damit, daß wir innerlich sofort zurückschrecken (und an mögliche Verbindung mit Rechtsextremisten denken), wenn jemand im Zusammenhang mit Deutschland von Patriotismus oder "nationalen Interessen" oder sonst etwas spricht. Zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit im Osten oder im Westen unseres Landes gehört m.E. nicht allein, an unserer eigenen Mentalität gegenüber Fremden zu arbeiten, sondern einen ganzen Satz von Begriffen und Begrifflichkeiten uns von den Rechtsradikalen zurückzuholen und unsere Inhalte da hineinzubringen.

Behrends, Kuck und Poutrus plädieren dafür, die Aufmerksamkeit der sozialhistorischen Forschung zur Erklärung der Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern zu stärken. Ich unterstütze diese Idee, wenn sie herausstellt, welche Besonderheiten im ostdeutschen Fall vorzuliegen scheinen. Doch wäre es fatal, wenn das Ergebnis der Bemühungen im Westen wäre: "Da die dargelegten Gründe auf uns nicht zutreffen, trifft auch die Fremdenfeindlichkeit auf uns nicht zu." Im Hinblick auf die tagespolitischen Konsequenzen, von denen Behrends, Kuck und Poutrus sprechen, können wir vielleicht auch ein wenig mehr tun. Vor kurzem berichtete DIE ZEIT von einem Projekt des sächsischen DGB, der Rundreisen Dresdner Studenten finanziert, die in sächsischen Schulen mit rechtsgerichteten Schülern diskutieren. Es war zweierlei verblüffend, einmal wie "leicht" es war, den Schülern zu belegen, welch Blödsinn sie zum Teil erzählen, und zum anderen, daß diesen Schülern bisher außerhalb des Elternhauses (wenn dort überhaupt) schlicht nicht widersprochen worden war. Der Aufruf an staatliche Instanzen, den Menschenrechten von Ausländern Geltung zu verschaffen, muß also ergänzt werden durch die Ermutigung an Lehrer, Eltern, uns selbst, offen unseren Dissens mit - vielleicht manchmal nur als pubertäre Provokation vorgetragene - rechtsradikale Parolen zu artikulieren.

Matthias Judt
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Institut für Geschichte


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Matthias Judt" <majudt@debitel.net>
Subject: Reaktion zum Thesenpapier
Date: 11.08.2000


       

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