Reaktion zum Thesenpapier "Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Bundesländern" von Jan C. Behrends, Dennis Kuck und Patrick G. Poutrus

Liebe Listenmitglieder,

die Autoren des Thesenpapiers machen - dies sei vorangestellt - durchaus interessante Beobachtungen und ich will sie nicht bestreiten. Vielmehr moechte ich den Blick noch auf ein anderes Ereignis werfen: die Wende in der DDR und die Vereinigung. Gerade im Vereinigungsgeschehen sind neben der sozialistischen Altlast auch viele Fehler begangen worden. Einen weiteren Aspekt werde ich auch noch mit hinzunehmen: die Wohnungspolitik der DDR. Ist alles nicht meiner Weisheit letzter Schluss, aber ein Diskussionsvorschlag.

1. Die Wende

Durch die Beendigung des Kalten Krieges durch die Regierung Gorbatschow veraenderte sich auch die Lage in der DDR. Die Nischengesellschaft der DDR konnte den zu grossen Freiheitsentzug nicht mehr ertragen. So konnte nun durch den Rückzug der Sowjets aus dem Kommunismus und aus der Einmischung in die Politik der ehemaligen Ostblockstaaten der Drang nach Freiheit und politischer Selbstbestimmung durch die Schichten hindurch zum Ausdruck kommen. Schnell wurden dann auch Toene laut, die eine Wiedervereinigung forderten, die denn auch realisiert wurde. Die Wende verstehe ich auch als Ausdruck des Ausbruches aus der Isolation. "Wir wollen uns dem Fremdem stellen!", könnte als Motto auch über der Wende stehen.

2. Die Vereinigung

Durch den Beitritt der DDR zur BRD galt nun in allen Bereichen das bundesdeutsche Recht, nacdem es vorher schon eine Waehrungs- und Wirtschaftsunion gegeben hatte. Im wirtschaftlichen Bereich sind denn auch die entscheidenden Fehler der westdeutschen Politik zu sehen. Es ging nicht darum, eine soziale Marktwirtschaft einzuführen, sondern sofort einen intakten Kapitalismus zu installieren. Zudem wurden Betriebe durch Parteienfilz und durch Bestechungen unter Wert verkauft, mögliche ostdeutsche Komkurrenten wurden in den Konkurs getrieben. Dabei wurde nicht nach den Menschen gefragt, sondern nur nach dem Profit. Das ganze wirtschaftliche Einigungsgeschehen erweckt den Eindruck, daß zwar die Politik aktiv gehandelt hat, die westdeutsche Wirtschaft aber neoliberalistisch die Diktion hatte. Dies fuehrte zu der auch heute noch vorherrschenden Massenarbeitslosigkeit in der DDR. Dies und die mangelnde Foerderung von Ausbildung in den ostdeutschen Laendern haben auch mit zu den Problemen mit dem Rechtsterrorismus dort gefuehrt.

3. Die Wohnungsbaupolitik der DDR

Die Kasernierung von Arbeitern in Plattenbauten ist ein weiterer Foerderer von zumindest einer Bereitschaft zur Gewalttaetigkeit. Um es etwas platt auszudruecken: Die Leute trampeln sich auf den Fuessen rum, ohne sich Luft machen zu koennen. Es ist m. E. nur logisch, dass Jugendliche, die dort leben und keine Zukunftsperspektive haben, sich einen Suendenbock suchen. Das sind dann eben die anderen, die nicht zur Gruppe dazu gehoeren: die Fremden und Andersdenkenden. Bei den Plattenbausiedlungen kommt noch hinzu, dass dort kaum Gaststaetten, Cafés und Jugendbegegnungsstaetten vorhanden sind, die einen Teil der Unertraeglichkeit haetten auffangen koennen. Viele Jugendclubs wurden sogar in diesen Wohngebieten geschlossen.

Ich erspare mir jetzt einen Blick auf Westdeutschland. Gerade in Westdeutschland waere es auch noetig auf die rechtsterroristischen Entwicklungen zu achten und die historischen Ursachen nach 1945 zu beleuchten. Wenn der Blick nur auf Ostdeutschland fällt ist dies falsch!

Mit diskussionsfreudigen Gruessen

Andreas Hillebrandt


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Andreas Hillebrandt" <ahilleb@student.uni-goettingen.de>
Subject: Reaktion zum Thesenpapier
Date: 10.08.2000


       

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