Cover
Titel
Glaube und Geschlecht. Gender Reformation


Herausgeber
Labouvie, Eva
Erschienen
Köln 2019: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
387 S.
Preis
€ 49,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Arend, Forschungsstelle Theologenbriefwechsel im deutschen Südwesten 1550-1620, Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Der Sammelband geht zurück auf eine Tagung, die 2017 im Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum in Magdeburg veranstaltet wurde. Eva Labouvie macht in ihrer Einführung deutlich, dass das Thema Gender Reformation im Sinne einer „Fokussierung auf die Wechselbeziehungen zwischen Glaube und Geschlecht“ (S. 17) nach wie vor ein Forschungsdesiderat ist. Als Leitgedanke für die Beiträge dient die Frage, „wie die Reformation durch ihre Protagonisten und Protagonistinnen, aber auch als Bewegung ‚von unten‘ geschlechtsspezifische Positionen in der neuen evangelisch-lutherischen Lehre und im Glauben neu gefasst und über den gelebten Glauben die Geschlechterordnung der vormodernen Gesellschaft bis heute verändert hat“ (S. 17). Maria Jepsen zeigt in ihrem „einleitenden Erfahrungsbericht“, wie einige dieser historischen Impulse bis in die Gegenwart hineinwirken.

Der erste Themenbereich des Bandes befasst sich mit grundsätzlichen Überlegungen zum Geschlechterverhältnis und seinem Wandel im Reformationszeitalter. In ihrem einleitenden Beitrag nähert sich Heide Wunder dem Thema mit der Frage, welche Veränderungen Luthers Rückgriff auf das paulinische „Priestertum aller Gläubigen“ und sein Eheverständnis für die Geschlechter, insbesondere die Frauen, erbracht haben. Da Frauen in evangelischen Landeskirchen erst im 20. Jahrhundert ins Pfarramt gelangen konnten, weitet Wunder die zeitliche Dimension von „Gender Reformation“ bis in die Gegenwart aus.

Ute Gause macht vier „Marker“ aus, die als reformatorische Neuerungen zu verstehen sind: 1. die Priesterehe als Aufwertung von Ehe und Sexualität, 2. die Egalisierung der Geschlechter durch das Priestertum aller Gläubigen, 3. die Normierung von Haushalt, Ehe und Familie, und 4. die Neubewertung weiblicher Lebenszusammenhänge. Gause betont, dass diese Marker nicht voreilig mit Attributen wie Fortschritt und Repression oder Patriarchalismus und Emanzipation belegt werden sollten, sondern dass nur ein differenzierter Blick auf die Quellen den im 19. Jahrhundert geprägten Geschlechterdualismus überwinden kann.

Christian Volkmar Witt befasst sich mit dem Eheverständnis, das Martin Luther seit 1519 in mehreren Schriften vertiefte: Die Ehe als von Gott gestiftete Gemeinschaft von Mann und Frau ist der Kern des christlichen Hausstands und somit der christlichen Gesellschaft. Luthers theologisches Verständnis der Ehe löst diese vom Kirchenrecht, von der spätmittelalterlichen Werkfrömmigkeit und von der kirchlichen Hierarchie. Die Ehe besitzt keinen sakramentalen Charakter mehr: „Die Ehe ist Gottes ureigenster Stand, aus dem die gesamte christliche Menschheitsordnung hervorgeht“ (S. 104). Witt gelingt es in besonderer Weise, Luthers Theologie zur Ehe präzise und sprachlich äußerst treffend auf den Punkt zu bringen.

Julia A. Schmidt-Funke untersucht die Transformation des reformationszeitlichen Männlichkeitsbildes am Beispiel von Klerikern, die zum evangelischen Bekenntnis übertraten. Dieser Schritt ließ sich besonders plastisch an der äußerlichen Veränderung durch Ablegen des Habits und Verwachsen der Tonsur ablesen, aber auch im Akt der Eheschließung. Das entstehende Ideal sexualitätsbejahender Hausväter wurde zum Vorbild für Männlichkeitsentwürfe, allen voran in Städten.

Claudia Opitz-Belakhal zeichnet wesentliche Forschungslinien zur „Gender Reformation“ nach und streift dabei die Themenfelder Emanzipation, Patriarchatskritik, Wandel und Kontinuitäten der Geschlechterordnung sowie politische Herrschaft als Geschlechterherrschaft. Sie unterstreicht, dass die Erkenntnisse der feministischen Geschichtsforschung nicht nur für den protestantischen, sondern auch für den katholischen Kontext gelten: Auch in Lebensverhältnissen, die vom Katholizismus geprägt waren, wurden Ehe und Haushalt neu definiert sowie staatliche, fürstliche und häusliche Herrschaft eng mit Männlichkeit und Väterlichkeit verbunden.

Der zweite Themenbereich befasst sich mit den Auswirkungen der reformatorischen Lehre auf Gesellschaft und Geschlechterordnung. Dorothee Kommer hebt die Rolle von Frauen als Flugschriftenautorinnen hervor. Sie betont, dass Frauen wie Argula von Grumbach, Ursula Weyda, Katharina Zell und Margareta von Treskow sowie wenige andere Autorinnen Ausnahmeerscheinungen waren, da sie nicht dem weiblichen Rollenbild ihrer Zeit entsprachen.

Luthers Testament von 1542 steht im Zentrum der Ausführungen von Heiner Lück. Er untersucht dessen Rechtscharakter und nimmt insbesondere die erbrechtlichen Möglichkeiten Katharinas von Bora in den Blick. Nach Luthers Tod erklärte Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen das Testament trotz einiger Rechtsunsicherheiten zwar für rechtskräftig, Katharina wurde jedoch nicht die Vormundschaft für ihre Kinder zugesprochen, sondern für sie als Witwe musste ebenfalls ein Vormund bestellt werden.

Anne Conrad untersucht reformationszeitliche Klosteraustritte. Neben wenigen privilegierten Frauen, zu denen Caritas Pirckheimer und Katharina von Bora zählten, war die Gewissensentscheidung, das Kloster zu verlassen, für viele Nonnen mit gesellschaftlicher Ausgrenzung und finanzieller Not verbunden. Conrad hebt hervor, dass es auch für Mönche – abhängig von ihrem Alter und Bildungsgrad – vielfach schwierig war, außerhalb des Klosters ein neues Leben zu beginnen.

Nicole Grochowina befasst sich mit Geschlechterordnungen in täuferischen Martyrologien. Männer und Frauen, die um ihres Glaubens willen hingerichtet wurden, waren im Tod zwar gleichgestellt, diese Parität wurde jedoch in der Erinnerungskultur, den Martyrologien, insofern wieder aufgehoben, als dass eine klare Hierarchisierung zugunsten der Männer formuliert und somit an die zeitgenössische Geschlechterordnung angeknüpft wurde.

Ausgehend vom konfessionellen Zeitalter unternimmt Mareike Fingerhut-Säck einen Ausblick auf den Pietismus. Sie untersucht, wie Christine zu Stolberg-Gedern ihren pietistischen Glauben in ihrem Herrschaftsgebiet gestaltete und wie ihre Schwiegertochter Sophie Charlotte zu Stolberg-Wernigerode diese Bemühungen in der nächsten Generation fortsetzte. Im 18. Jahrhundert entwickelte ein „neues, genuin pietistisches Geschlechterverständnis“ (S. 253), in dem Frauen Zugang zu Politik und Gesellschaft erhielten, den jedoch vor allem Regentinnen wie die beiden Stolberger Gräfinnen nutzten.

Die Beiträge des dritten Themenbereichs wenden sich schließlich zeitgenössischen Geschlechterdiskursen in den Weltreligionen zu. Cornelia Schlarb und Kerstin Söderblom blicken in ihren Beiträgen auf die Situation im evangelischen Deutschland. Obwohl die Ordination von Frauen im Laufe des 20. Jahrhundert in allen Landeskirchen rechtlich ermöglicht wurde, kann von einer Gleichstellung im geistlichen Amt keine Rede sein, konstatiert Schlarb. Das über Jahrhunderte tradierte patriarchalische Rollenverhältnis der Geschlechter konnte in den evangelischen Landeskirchen noch nicht überwunden werden. Ein ähnliches Fazit zieht auch Söderblom, die Geschlechtsidentitäten in der evangelischen Kirche untersucht. Obwohl sich die einzelnen Landeskirchen in den 1990er-Jahren gegenüber gleichgeschlechtlichen und bisexuellen Gemeindegliedern und kirchlichen Mitarbeiter:innen geöffnet haben, finden sich immer noch Ressentiments gegenüber Trauungen gleichgeschlechtlicher Paare sowie gegen solche oder transidente Pfarrer:innen und Regenbogenfamilien im Pfarrhaus.

Die katholische Theologin Margit Eckholt fragt nach dem Amt von Frauen in der katholischen Kirche. Obwohl das Zweite Vatikanische Konzil Reformen in den Bereichen von Sexualität, Ehe und Familie sowie bezüglich des kirchlichen Amts formuliert hat, ist das Priesteramt für Frauen nach wie vor nicht vorgesehen. Dennoch resümiert Eckholt, dass das Konzil „eine Tür geöffnet“ (S. 314) und eine Grundlage für weitere Reformprozesse innerhalb der katholischen Kirche geschaffen habe.

Birgit Heller führt in einem breit angelegten Überblick vor Augen, dass die großen Weltreligionen der Gegenwart androzentrisch geprägt sind. Sie zeigt dies für das Judentum, Christentum, den Islam, den Hinduismus und den Buddhismus an den Rollen und dem Status von Männern, Frauen und Vertretern des sogenannten dritten Geschlechts. Die politisch-rechtliche Gleichstellung der Geschlechter sei eine moderne Errungenschaft, die auf die Vorstellungen ewig stabiler Geschlechterordnungen in den Weltreligionen nur in geringem Maße Einfluss haben kann.

Im abschließenden Beitrag stellen Ahmet Toprak und Umut Akkuş ihre Studie zu Geschlechterrollen und Sexualerziehung von Muslim:innen in Deutschland vor. Die Sozialisation und Erziehung von Jungen und Mädchen in spezifische Geschlechterrollen hat sowohl in konservativ-autoritären als auch in religiösen Migrantenfamilien große Bedeutung. Aus dieser Erkenntnis leiten Toprak und Akkuş Schlussfolgerungen für eine angemessene pädagogische Praxis ab.

Der Tagungsband vereinigt Aufsätze aus unterschiedlichen Disziplinen, wobei die überwiegende Mehrheit der Beiträger:innen Historiker:innen und Theolog:innen sind und nur je ein Beitrag von Vertretern der Rechtsgeschichte (Lück) und der Sozialwissenschaften (Toprak und Akkuş) beigesteuert wurde. Die Bandbreite der behandelten Themen ist insbesondere durch die zeitliche und inhaltliche Ausweitung bis in die Gegenwart und mit dem Ausblick auf die großen Weltreligionen überraschend groß und dadurch äußerst anregend. Der Band liefert mit seinem Schwerpunkt auf dem „Miteinander und Zusammenwirken der Geschlechter“ (S. 17) einen wichtigen Beitrag zu einem differenzierteren Verständnis der Reformation und ihrer bis heute andauernden Auswirkungen auf die Gesellschaft.

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